Design ist ein hochpolitischer Beruf

Ein Gespräch mit der Kuratorin Amelie Klein

Nach fünf Jahren auf weltweiter Tournee ist mit «Hello, Robot. Design zwischen Mensch und Maschine» die erfolgreichste Ausstellung in der Geschichte des Vitra Design Museum an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt. Warum diese sehenswerter ist als je zuvor und welche politische Verantwortung Designer haben, erklärt Kuratorin Amelie Klein.


Frau Klein, warum sind Sie eigentlich so wütend?

Amelie Klein: Wenn ich an Robotik denke, bin ich immer wütend. Wahnsinnig wütend! Und deprimiert.

Bei der Ausstellungseröffnung sprachen Sie davon, dass das Thema der Ausstellung Sie depressiv stimmen würde. Im Vorwort des Ausstellungskatalogs schreiben Sie von Ihrer Wut. Erklären Sie uns bitte kurz Ihre Verstimmtheit.

Ich sage immer, die Robotik – und damit meine ich auch die Technologie im Allgemeinen – ist wie eine Farbschicht, die sich über alles legt. Sie macht uns das Leben in vielerlei Hinsicht deutlich einfacher und die meisten von uns glauben noch immer, das komme alles gratis. Wenn wir aber genauer hinsehen, erkennen wir sofort: Nichts davon ist gratis. Hinter den Technologien, die wir alle unentwegt nutzen, stehen meist wirtschaftliche oder gar staatliche Interessen. Wir sind total aufgescheucht, wenn wieder irgendein Buch über die nächste Superintelligenz erscheint, denken aber nicht darüber nach, dass wir alle minütlich unsere Daten in den Äther senden, so selbst zur Ware werden und zunehmend auf einen digitalen Überwachungskapitalismus zusteuern.

Wenn ich an Robotik denke, fällt mir als erstes R2D2 aus Star Wars ein, der auch ein Highlight der Ausstellung ist. Sie sprechen jetzt aber, wenn ich Sie richtig verstehe, eher von unseren Smartphones und den Apps, die wir darauf nutzen. Habe ich eine falsche Auffassung davon, was ein Roboter ist?

Die meisten denken als erstes an den Terminator, wenn von Roboter die Rede ist – an R2D2, Wall-E, irgendwelche humanoiden Maschinen, die uns entweder umbringen oder Tee servieren. Unsere Vorstellungen sind geprägt von der Populärkultur, und genau da holen wir die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung auch ab. Doch dann wird schnell klar: Der Roboter braucht keinen Körper. Die Selbst-Auscheck-Supermarktkasse ist genauso ein Roboter wie eine Drohne, ein selbstfahrendes Auto oder eben unsere Smartphones. Alles kann ein Roboter sein, solange es über Sensoren verfügt, um Daten zu messen; über Software, um diese Daten zu interpretieren; und über Aktoren, um eine physisch messbare Reaktion zu generieren, etwa einen Lichtpunkt auf dem Bildschirm.

Die Kernbotschaft der Ausstellung war schon 2017: «Keine Angst vor dem Terminator, aber höchste Vorsicht vor den Entwicklungen unserer immer smarteren, immer robotischeren Umwelt». Können Sie das noch mal ins Konkrete übersetzen: Wovor sollen wir uns in Acht nehmen und wovor nicht?

Wovor wir uns in absehbarer Zeit nicht fürchten müssen, ist die eine Maschine, die eine Superintelligenz, die das Weltsystem übernehmen, ein Bewusstsein entwickeln, unsere Jobs wegnehmen und uns Menschen am Ende zerstören wird. Wir hatten gleich am Anfang dieses Videotelefonats das Problem, dass wir einander nicht hören konnten. Wer in der vergangenen Woche nicht mindestens einmal an Technologie gescheitert ist, soll sich bitte bei mir melden! Wovor wir uns aber jede Minute, jede Sekunde fürchten sollten, sind die grossen Technologieunternehmen aus dem Silicon Valley – auch genannt die Big Five – die den Grossteil unseres digitalen Lebens bestimmen. Diese fünf Firmen haben wirtschaftliche Interessen. Sie haben zum Teil die reichsten Menschen der Menschheitsgeschichte hervorgebracht. Wie machen sie diese immensen Profite? Wir glauben, dass wir etwas benutzen. In Wahrheit aber werden wir benutzt. Als Ware. Wem werden wir verkauft? Der Werbeindustrie. Was macht uns so wertvoll? Die Daten, die wir generieren. Jedes Mal, wenn wir den Computer oder unser Smartphone in die Hand nehmen, hinterlassen wir Spuren.

Welche Spuren?

Jede Seite, die wir besuchen, jeder Like, den wir verschenken, macht uns vorhersehbar. Die oben genannten Unternehmen wissen genau, was wir mögen und was nicht. Deshalb ist es so viel effizienter, uns online als Nutzer an Werbekunden zu verkaufen, als ein Plakat an eine Bushaltestelle zu kleben oder eine Anzeige in einem Magazin zu schalten.

Und warum ist das gefährlich?

Das Business-Modell vieler Seiten, vor allem im Bereich von Social Media, sieht vor, Userinnen und User möglichst lange am Bildschirm zu halten, um möglichst viele Daten abzugreifen, um die Person möglichst gut einschätzen zu können, um möglichst zielgenau Werbung an sie verkaufen zu können. Entsprechend sind diese Seiten gestaltet: Wir sollen weiter runterscrollen, noch mal ein Like verschenken, noch mal nachsehen, was es mit dem Kommentar auf sich hat. In unserem Gehirn werden dabei die gleichen Bereiche getriggert wie beim Drogenkonsum – man spricht auch von der «Immediate Gratification». Und wie bei jeder Droge, wollen wir mehr davon, in immer intensiverer Ausprägung, was dazu führt, dass wir immer extremere Inhalte serviert bekommen. Und wozu das wiederum führt, sehen wir im echten Leben: die extremen Polarisierungen der Gesellschaften. Wir verlassen unsere Bubbles nicht mehr, sprechen als Gesellschaft nicht mehr miteinander. Und das ist, wie wir alle wissen, ein Problem.

Klingt recht düster und dystopisch. Gab es in den vergangenen fünf Jahren auch positive Entwicklungen?

Seit wir gesehen haben, dass Algorithmen Wahlen beeinflussen können, wozu Hate Speech führen kann, entwickeln sich auch bemerkenswerte gesellschaftliche Gegenkräfte, ja. Durch ein gesteigertes Bewusstsein dafür, was alles schiefläuft, erkennen wir unsere individuellen Möglichkeiten, gegenzusteuern – dass wir Datentransfer verändern und andere Plattformen nutzen können, beispielsweise. In Österreich gibt es ein neues Pflichtfach an den Schulen – die Digitale Grundbildung. Open-Source-Wissenschaftsdatenbanken sind auf dem Vormarsch. Wir begreifen, dass Technologie ein Werkzeug ist, und wir als Gesellschaft entscheiden müssen, wie wir dieses Werkzeug nutzen wollen. Das verdeutlicht auch unsere Ausstellung.

Welche Verantwortung hat dabei Design?

Design ist ein hoch politischer Beruf mit einer extremen Verantwortung. Es ist eine Brücke, die zwei Entitäten verbindet, die nicht zusammenzugehören scheinen. Design ist zwischen uns und der Dampfmaschine, zwischen uns und der Biochemie, zwischen uns und der Technologie. Es ist die zentrale Kulturtechnik, die dazu führt, dass sich ein grosses Kollektiv so verhält oder anders, es ist ein Bindeglied, das übersetzen kann, eine Super Power. Wer eine Superkraft besitzt, hat Macht und mit Macht kommt Verantwortung: Welche Ideen mache ich für Menschen zugänglich? Kann ich es mit meinem Gewissen vereinen, für eine Firma zu arbeiten, die ohne Ende Daten abgreift? Die ihre Mitarbeitenden ausbeutet? Die Kinder süchtig macht nach irgendwelchen Spielen? Verstehen Sie mich nicht falsch, ich glaube ganz fest an die Kraft von Design, es kann auch anders, es kann weltbewegend Positives bewirken. Aber viele Designerinnen und Designer sind sich ihrer immensen Verantwortung nicht bewusst.

Nennen Sie mir ein Beispiel?

Am Anfang war das Smartphone nicht gefährlich. Oder der Like-Button. Es ging nicht darum, alle abhängig zu machen. Sondern man wollte die Liebe, die Zuneigung steigern. Das war natürlich extrem naiv.

Die Ausstellung ist nach 14 Leitfragen sortiert. Zum Abschluss würde ich Ihnen gerne drei davon stellen, bitte in einem Satz beantworten: Was war Ihre erste Erfahrung mit Robotern?

Ein Spielzeug zum Aufziehen – ich war noch sehr klein.

Denken Sie, Ihr Job könnte von einem Roboter übernommen werden?

Kann ein Roboter wirklich lustig sein? Nur wenn er sehr gut programmiert ist. Und bei der Ausstellung ist trotz aller Ernsthaftigkeit sehr viel Humor dabei, heute würde das ein Roboter so noch nicht hinbekommen.

Hätten Sie gern, dass sich ein Roboter um Sie kümmert?

Roboter kümmern sich schon heute um jede und jeden von uns – meine Playlist der Woche wird genauso von einem robotischen System generiert wie die Präsentation von Inhalten der ganzen News-Apps, die ich jeden Tag obsessiv verwende oder die technologische Anwendung, über die wir gerade kommunizieren.

Haben Sie einen der ganzen Roboter der Ausstellung eigentlich auch so was wie liebgewonnen?

Wall-E und R2D2 habe ich schon sehr gern – das sind zwei so unvorhersehbar liebe Wesen – und genau deshalb sind sie absolut unrobotisch.

Veröffentlichungsdatum: 24.11.2022
Bilder: 1: Twentieth Century Fox und Lucasfilm Ltd. R2-D2, 1977. Erstmals zu sehen im Spielfilm Krieg der Sterne. Episode IV – Eine neue Hoffnung (1977). © & TM 2017 Lucasfilm Ltd. ; 2: Ted Hunt, Luke Sturgeon, Hiroki Yokoyama, »Synthetic Temperaments of Drones«, 2014 © Ted Hunt, Luke Sturgeon, Hiroki Yokoyama. Projekt im Rahmen des MA Design Interactions, Royal College of Art, London, unter der Leitung von Anthony Dunne; 3: Tatsuya Matsui, »Patin«, 2014 Heimroboter © Flower Robotics, Inc; 4: Historic toy robots, 1956 – 1980 Privatsammlung, Foto: Andreas Sütterlin; 5: Jan De Coster, »Robin«, 2015 © Jan De Coster; 6: Stephan Bogner, Philipp Schmitt und Jonas Voigt, »Raising Robotic Natives«, 2016 © Jonas Voigt
Autor: Franziska Klün im Gespräch mit Amelie Klein

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