Über die Partnerschaft zwischen Eames und Vitra

Ein Interview mit Eames Demetrios

Eames Demetrios, erzählen Sie uns ein wenig über sich und Ihre Rolle im Eames Office.

Das Eames Office wurde 1941 von Charles and Ray Eames gegründet und wird heute in der dritten Generation geführt (und die vierte Generation ist schon involviert). Es widmet sich auf unzählige Arten – sowohl kommerziell als auch kulturell – der Kommunikation, dem Erhalt und der Erweiterung eines der schönsten Design-Vermächtnisse der Welt. Die enge Verbindung und Zusammenarbeit von Charles und Ray mit Vitra – gegründet von Willi und Erika Fehlbaum – hat ihren Ursprung im Jahr 1953 und wird heute mit grosser Leidenschaft fortgesetzt. Nach der Zusammenarbeit mit unserer Mutter Lucia Eames arbeitet Vitra heute mit den fünf Enkeln von Charles und Ray zusammen – mit mir als Direktor des Eames Office und meinem Bruder Byron Atwood als Manager des Eames Office. Meine persönliche Aufgabe ist sowohl konkret, indem ich die physische Produktion authentischer Eames-Entwürfe fortsetze (einige davon sind bekannte Klassiker, andere nie oder nur selten zu sehen), als auch abstrakt, indem ich mich mit Fragen der Kommunikation und von Ausstellungen befasse. Ich glaube, dass – so schön die Eames-Objekte auch sind – die Ideen hinter dem reichhaltigen und breit gefächerten Werk ebenso viel Anerkennung verdienen.

Welche Rolle haben Sie bei der Fortsetzung des Designansatzes von Charles und Ray gespielt?

Meine Grosseltern pflegten zu sagen, dass das letzte, woran sie beim Entwerfen eines Stuhls dachten, sein Aussehen war. Sie versuchten nicht, sich selbst auszudrücken, sondern das Bedürfnis, das der Entwurf erfüllen sollte, den Zweck des Stuhls. Auch lange nachdem ein Entwurf in Produktion gegangen war, dachten Charles und Ray darüber nach, wie man ihn noch besser machen könnte. Als sie dieses Konzept vertieften, erkannten sie, dass wenn sie das Weiterleben ihrer Möbel sichern wollen, das Systemdesign von entscheidender Bedeutung ist – und wir sind stolz darauf, mit einem Partner wie Vitra Teil dieses Systems zu sein. Mein Bruder Byron drückt es so aus: «Charles und Ray baten uns, zwei Dinge zu tun: uns um das Eames House zu kümmern und uns um die Entwürfe zu kümmern». Und genau das hat unsere Familie nun seit mehr als 35 Jahren getan.

Wofür steht «Eames» in Ihren Augen heute?

Eames steht für Design auf höchstem Niveau. Ich meine damit, dass heute Rays und Charles’ ganzheitliche Vision von Design nicht aktueller sein könnte. Ihr liegen drei Werte zugrunde: Charles und Ray stellten auf der Designreise den Prozess in den Vordergrund. Zweitens haben sie das Verstehen nie delegiert: Ihre Entwürfe spiegeln auch im Detail ein intuitives Verständnis von Problemen, Möglichkeiten und Beschränkungen verschiedener Lösungen wider. Und drittens sahen sie die Rolle des Designers als die eines guten Gastgebers, der die Bedürfnisse des Gastes voraussieht.

Ich schreibe das aus Indien, wo es ein Sanskrit-Sprichwort gibt: Der Gast ist Gott. Dieser Gedanke stellt den Menschen in den Mittelpunkt des Designprozesses. Sich um einen Gast zu kümmern, ist eine universelle Idee, und ich habe von keiner Kultur gehört, die nicht an die Verantwortung des Gastgebers gegenüber seinem Gast glaubt. Ich denke, diese Haltung ist die Erklärung für die internationale Wirkung der Entwürfe von Charles und Ray.

Bezogen auf die einzelnen Entwürfe würde ich die Schönheit des LCW mit jedem anderen Stuhl messen. Was die Wirkung anbelangt, so haben die Eames Shell Chairs, der Lounge Chair und die Eames Aluminium Group nur wenige Konkurrenten – wenn überhaupt. Aber der Einfluss der Eames geht über Möbel hinaus: Sie haben bahnbrechende Filme und weltverändernde Ausstellungen gemacht, waren Fernsehpioniere, haben Spielzeug hergestellt, das noch ein halbes Jahrhundert nach seiner Einführung vom MoMA verkauft wird, haben Stoffe entworfen, die heute Sneakers zieren, und sie haben ein Haus gebaut, das viele Regeln der Architektur gebrochen hat – nicht aber die Regel des Komforts.

Führen Sie uns durch die Dynamik der Eames und Vitra.

Die Verbindung zwischen den Eames und Vitra basiert auf einer echten und dauerhaften persönlichen Beziehung und die Bewunderung von Vitra für Charles und Ray geht weit über das Interesse an ihren Produkten hinaus. 1957 besuchte Willi Fehlbaum meine Grosseltern zum ersten Mal im Eames House in den Pacific Palisades in Los Angeles, Kalifornien. Ein Jahr später besuchten Charles und Ray erstmals Vitra in Basel in der Schweiz. Bei ihren nachfolgenden regelmässigen Treffen mit den Eames bekamen Willi und Erika Fehlbaum wichtige Übersetzungshilfe von ihrem ältesten Sohn, Rolf Fehlbaum. Diese Vermittlerrolle, die weit über die eines Übersetzers hinausging, förderte die berufliche Zusammenarbeit und stärkte die Bande zwischen den beiden Familien. 1977 übernahm Rolf Fehlbaum die Leitung von Vitra, und Mitte der 1980er-Jahre besuchten seine Tochter und er Ray und mich in Los Angeles. Während dieses Besuchs war es offensichtlich, dass Ray sich freute, die Familien weiter zu verbinden, von denen sie wusste, dass sie langfristig zusammenarbeiten würden.

Bei mehreren Gelegenheiten habe ich Rolf über die Beziehung der beiden Familien sagen hören: Charles und Ray Eames sind unsere Helden. Sie sind die Persönlichkeiten, die diesem Unternehmen mehr als jemand anderes die Form und Ideen gegeben haben. Sie waren Menschen mit unglaublichem Talent, harte Arbeiter und Visionäre und stellten nicht nur Möbel her, sondern waren auch Architekten, Filmemacher, Fotografen und Pädagogen, die über unsere Gesellschaft und die Welt, die sie umgab, nachdachten.

Obwohl das von der Familie Eames geleitete Eames Office als kulturelle und kommerzielle Organisation heute Filme, Ausstellungen und viele andere Dinge macht, haben wir uns neu definiert und konzentrieren uns fast ausschliesslich auf die Leistungen von Charles und Ray. Mit mir als Direktor des Eames Office berät sich Vitra über die Produktion von authentischen Eames-Entwürfen und über Fragen von Ausstellungen und anderer Kommunikation im Zusammenhang mit dem Eames-Werk. Auf der Seite von Vitra wird die dritte Generation der Familie Fehlbaum durch Rolfs Nichte Nora Fehlbaum vertreten, die das Unternehmen seit 2016 leitet.

Vitra und das Eames Office sind Familienunternehmen. Inwiefern hat dies die Authentizität der gemeinsamen Produkte beeinflusst?

Als alleiniges zur Herstellung und zum Vertrieb von Eames-Möbelentwürfen in Europa und im Mittleren Osten berechtigtes Unternehmen seit den 1950er-Jahren, hielt Vitra an den Werten der Eames fest und folgte den vom Eames Office entwickelten Produktionsprozessen, um die hohen Qualitätsstandards von Charles und Ray zu erfüllen. Vitra unterstützte das Paar bei der kontinuierlichen Optimierung der Entwürfe nach ihrer Markteinführung und die Designer verbesserten immer wieder Details oder gestalteten ganze Teile ihrer Produkte neu – alles mit dem Ziel, die beste Leistung und Qualität zu erzielen und den technischen Fortschritt zu nutzen. Diese Leidenschaft für die kontinuierliche und durchdachte Verbesserung der Entwürfe ist der Schlüssel zu den Partnerschaften mit unseren vertrauten Herstellern.

Das Vitra Design Museum besitzt eine aussergewöhnliche Sammlung von Eames-Möbelprototypen – eine Ressource, die wir bei unserer Arbeit mit Vitra häufig zu Rate ziehen. Wenn ich diese wertvollen Objekte persönlich sehe, erlebe ich eine Art von Authentizität, die ich persönlich sehr schätze: die direkte Verbindung über die Zeit hinweg. Wenn ich Charles’ Büro sehe, das heute im Vitra Schaudepot auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein eingerichtet ist, erinnere ich mich daran, wie ich mit ihm und meinen Geschwistern im kalifornischen Venice, nicht weit vom Pazifik, im Nachmittagslicht stand, das durch das Milchglas einfiel. Die frühen Lounge-Chair-Prototypen, die ersten experimentellen Holzschalen, die mit Zeichnungen eines befreundeten Künstlers verzierten Shell Chairs – alles von den Designern während des Entstehungsprozesses persönlich berührt … Das ist für mich romantisch und wunderbar.
In den letzten Jahrzehnten, in denen unsere Generation das Eames Office mit und im Namen unserer Mutter Lucia Eames geführt hat, ist mir klar geworden, wie wichtig eine andere Form der Authentizität für Charles und Ray war: die Vorstellung, dass der Stuhl, den die Eames wirklich entworfen haben, der Stuhl ist, den Vitra (und Herman Miller) morgen herstellen. Anders gesagt, Charles und Ray wussten, dass, wenn sie jeden Stuhl persönlich anfassen müssten, um ihn als authentisch zu betrachten – was schon zu ihren Lebzeiten nicht möglich war –, nicht nur die Vorteile der Massenproduktion verloren gingen, sondern auch die Authentizität zusammen mit ihnen sterben würde. Daher konzentrierten sie sich auf die Entwicklung von Systemen, die sicherstellen sollten, dass die Authentizität gewahrt werden kann.

Als Charles und Ray noch lebten, waren sie im Dialog mit den Herstellern – angeführt von begabten Leuten wie Rolf Fehlbaum von Vitra – die Fürsprecher ihrer Entwürfe. Dieses System des kontinuierlichen Designdialogs stellte sicher, dass jedes Produkt, das die Fabrik verliess, den Nutzern die wahre Erfahrung von Funktion, Ästhetik und Qualität bot, die Charles und Ray beabsichtigt hatten. Der Begriff «Qualität» bezieht sich dabei nicht nur auf Materialien, Verbindungen und Details, sondern auch auf den kulturellen Wert und die Philosophie, die die Entwürfe verkörpern. Sie haben uns – ihre Familie – gebeten, diese Rolle zu übernehmen, wenn sie nicht mehr da sind.

Vom Vitra Design Museum bis zu Büchern und Publikationen: Wie ist es Vitra gelungen, den Eames Öffentlichkeit zu verschaffen?

Das Engagement von Vitra ist bemerkenswert, angefangen beim Erwerb einer wichtigen Sammlung von Prototypen aus dem Eames Office durch Rolf Fehlbaum bis hin zum Sponsoring von und der Zusammenarbeit bei Ausstellungen aller Art. Es gab dabei Ausstellungen in grossen Museen unter strengsten akademischen und kuratorischen Protokollen und andere, flexiblere und kommerziellere, die an unzähligen Orten Europas und des Mittleren Ostens gezeigt wurden. Diese unterschiedlichen Arten von Ausstellungen sind notwendig, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Eine Ausstellung, die wir 1997 gemeinsam realisierten, reiste 9 Jahre lang durch 19 Ausstellungsorte in 9 Ländern. Im Jahr 2017 füllten 4 verschiedene Eames-Themenausstellungen jeden Veranstaltungsort auf dem Vitra Campus. Und natürlich war ich begeistert, zu einer Reihe von Eames-Publikationen von Vitra beizutragen.

Eines der grössten Themen in der modernen Designwelt ist die Nachhaltigkeit. Auf welche Weise arbeiten Eames und Vitra an einer nachhaltigeren Zukunft?

Charles und Ray wussten, dass der Wandel in der modernen Welt eine Konstante ist. Charles sagte sogar: Um wirklich sicher zu sein, muss man sich der Veränderung sicher sein. Ihr Film Powers of Ten ist in vielerlei Hinsicht das ultimative Umweltstatement und als sie das Eames House bauten, änderten Charles und Ray den Entwurf radikal, um weniger Bäume zu beschädigen und eine Wiese zu schützen, obwohl sie die Materialien bereits bestellt hatten. Der Aspekt der Nachhaltigkeit war Teil ihres Denkens.

Unsere Grosseltern hätten es begrüsst, dass wir uns heute auf Nachhaltigkeit konzentrieren. Aber sie wussten, dass sie nicht jedes Thema vorhersehen konnten – sie wussten, dass es unmöglich war, genügend Anweisungen zu schreiben, um uns als ihre Erben oder Vitra als ihren Hersteller vorzubereiten. Stattdessen baten sie uns, ihre Familie, diese Rolle zu übernehmen und die Authentizität und den Wert zukünftiger Änderungen und neuer Materialien zu bestimmen. Durch ihre laufende Beziehung zu Vitra stellten sie auch sicher, dass die Familie bei diesen Entscheidungen nicht allein gelassen wurde.

Nehmen wir das Beispiel des Eames Shell Chair aus dem Jahr 1950, einen der wichtigsten und einflussreichsten Möbelentwürfe des 20. Jahrhunderts. Vitra hat die Materialität der Sitzschalen in enger Abstimmung mit der Familie Eames weiterentwickelt und während der langen Produktionsgeschichte immer wieder angepasst: Die Eames selbst experimentierten ebenfalls laufend mit neuen Materialien und initiierten neue Produktionstechniken. Ab den späten 1980er-Jahren entwickelten sich die Fiberglas-Schalen zu Schalen aus zu 100 % recycelbarem Polypropylen und danach wurde die Produktionstechnik für Fiberglas neu entwickelt. Ab Januar 2024 werden die Schalen der Eames Plastic Chairs nun aus einem recycelten Post-Consumer-Kunststoff hergestellt, der aus Verpackungsabfall aus deutschen Haushalten stammt. Diese Eames Plastic Chairs RE sind die aufs Neue aktualisierte Version des Fiberglass Chair.
In der Vitra Session vom 19. Oktober 2023 geht es um die gemeinsame Geschichte des Designerpaares Charles und Ray Eames und des 1950 von der Familie Fehlbaum gegründeten Schweizer Möbelherstellers Vitra. Die digitale Veranstaltung wird sich auf diese einzigartige Beziehung konzentrieren, die sich über drei Generationen erstreckt.

Zur Einführung der Eames Special Collection 2023 im Herbst hat Vitra das Buch Eames & Vitra veröffentlicht. Es beschreibt die Beziehung zwischen Vitra und den Eames und stellt Entwürfe vor, die Vitra seit den 1950er-Jahren bis heute produziert, und beleuchtet Themen wie Authentizität und Archivbestände.

Veröffentlichungsdatum: 18.10.2023, zuerst veröffentlicht in «Hypebeast»
Autor: Hypebeast, Eames Demetrios
Bilder: © Eames Office, LLC 2023; Vitra Design Museum; Vitra

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