Soft Wait - das Warten angenehm gestalten

Interview mit Barber Osgerby

Seit Jahrzehnten erforscht Vitra Arbeitstrends und entwickelt Bürokonzepte, erschafft langlebige Möbel für das Zuhause und trägt – spätestens seit der Produktion des Wartestuhlsystems Eames Tandem Seating – auch den hohen Anforderungen des öffentlichen Raums Rechnung. Da heute immer mehr Menschen von unterwegs arbeiten, hat Vitra mit Edward Barber und Jay Osgerby Soft Wait entwickelt, ein modulares Sitzsystem für öffentliche Räume.

Beginnen wir mit Soft Work, dem Arbeitssofasystem, das Ihr vor einigen Jahren zusammen mit Vitra entwickelt habt. Wie ist es dazu gekommen?

Edward Barber: Soft Work ist unsere Antwort auf das Arbeiten in gemeinschaftlich genutzten Räumen. Uns ist aufgefallen, dass die Leute in Hotellobbys und Flughäfen arbeiten, weil es dort WLAN und Smartphones gibt. Doch die Möbel sind dafür oft nicht geeignet. So fanden wir es an der Zeit, ein System zu entwickeln, das optimalen Komfort bietet, mit Arbeitsflächen, Stromanschluss und anderen nützlichen Funktionen. Das war der Anfang von Soft Work.

Jay Osgerby: Bevor wir ein Projekt in Angriff nehmen, analysieren wir immer zuerst, welche Lebensbereiche Aufmerksamkeit brauchen. Was können wir tun? Was ist unser Ziel? Und was ist der Zweck unserer Arbeit? Wir versuchen, Probleme zu lösen. Eines der Ergebnisse war Soft Work; wir haben die Notwendigkeit erkannt, durch Sitzgelegenheiten neue Formen der Architektur zu schaffen.

Was ist denn aber Soft Wait und wie unterscheidet es sich von Soft Work?

Barber: Soft Wait unterscheidet sich von Soft Work, indem es grundsätzlich für Wartebereiche wie Atrien, Einrichtungen des Gesundheitswesens, Bildungseinrichtungen und Flughäfen konzipiert ist. Einige Funktionen sind natürlich von Soft Work übernommen – es ist mit Strom ausgestattet, um das Telefon oder den Laptop aufladen zu können – und in Bezug auf die Ergonomie ist es ein wenig höher. Die Sitzbreite ist reduziert, um eine höhere Dichte zu erreichen. Zwischen den Sitzen und zur Rückenlehne sind Zwischenräume, damit sich nirgendwo Schmutz festsetzen kann. Jedes Bauteil ist so konzipiert, dass es langlebig, leicht zu reinigen und einfach zu pflegen ist. So hält Soft Wait auch sehr starken Beanspruchungen stand und erfüllt die hohen Anforderungen der Nutzung in öffentlichen Räumen.

Als Soft Work auf den Markt kam, kursierte der provokante Werbespruch «Der Schreibtisch ist tot». Wie seid Ihr danach darauf gekommen, ein solches System auch über das Büro hinaus einsetzen zu wollen?

Osgerby: Während der Entwicklung von Soft Work wurde uns klar, dass wir auf sehr spezifische Anforderungen öffentlicher Räume reagieren mussten und dass wir einen ganz neuen Baukasten für wirklich viel und intensiv genutzte Bereiche wie Flughäfen, Gesundheitswesen und Bildung benötigen würden. Wir standen vor der doppelten Herausforderung, einerseits Komfort zu schaffen und andererseits etwas zu entwickeln, das unglaublich strapazierfähig sein würde. Das ist ein Zwiespalt, denn oft nutzen sich weiche Möbel schnell ab.

Barber: Soft Wait ist so entworfen, dass es für alle passt. Egal, ob man eine Behinderung hat oder ein älterer Mensch mit eingeschränkter Mobilität ist, es ist so konzipiert, dass man sich leicht hineinsetzen und wieder aufstehen kann. Die Höhe wurde etwas angepasst, damit es für ältere Menschen bequemer ist. Soft Wait ist auf das grösstmögliche Spektrum der Gesellschaft ausgerichtet. Grundsätzlich nimmt es eine kleinere Grundfläche als Soft Work ein und kann als noch robusteres System besser für Umgebungen mit sehr starker Beanspruchung eingesetzt werden.

Wie wirken solche Umgebungen auf Euch? Wie findet Ihr sie? Und wie hat sich diese Beobachtung auf Euer Konzept für Soft Wait ausgewirkt?

Osgerby: Traditionell sind Warteräume dazu da, grosse Menschenmengen zu bewältigen. In gewisser Weise wird man entmenschlicht. Wir wollten Komfort und Leichtigkeit bieten. Es sollte sich entspannend oder produktiv anfühlen – nur nicht stressig und temporär.

Barber: Zwischen den Flughäfen herrscht ein starker Wettbewerb. Die Menschen können wählen, ob sie mit verschiedenen Fluggesellschaften und auf unterschiedlichen Strecken fliegen möchten, insbesondere auf Langstrecken. Der Wettbewerb besteht darin, auf welche Weise die Fluggesellschaften den Kundinnen und Kunden mehr bieten können. Wenn man an einem Flugsteig, an dem die Passagiere unter Umständen mehrere Stunden sitzen, etwas sehr Bequemes zur Verfügung stellt, kann sich das Erlebnis und damit der Flughafen von anderen Flughäfen abheben.

Lange Zeit war man der Meinung, dass man in diesen Bereichen nur das bekommt, was man halt bekommt. Konntet Ihr denn eine grosse Veränderung der Erwartungen feststellen?

Osgerby: Auf jeden Fall. Die Flughäfen haben sehr viel Geld in die Verbesserung des Kundenerlebnisses investiert, und deshalb erwarten die Menschen zu Recht auch mehr. Sie beginnen, die Reise als einen wertvollen und angenehmen oder produktiven Teil eines Urlaubs oder einer Geschäftsreise zu betrachten und nicht nur als eine Unannehmlichkeit.

Barber: Was sich bisher nur in den Lounges abgespielt hat, breitet sich nun auch in die öffentlichen Bereiche aus. Es geht deshalb nicht mehr nur darum, die bessere Lounge zu haben, sondern auch das bessere Terminal. Viele dieser grösseren Flughäfen werden als Transitknotenpunkte genutzt. Sie wollen so viele Kunden wie möglich anlocken. Das geht am besten, wenn man den Aufenthalt so angenehm wie möglich gestaltet.

Osgerby: So viele Flughafenmöbel werden abgenutzt und dann entsorgt. Soft Wait bietet den Planerinnen und Unternehmen über einen langen Zeitraum hinweg Flexibilität. Man kann sie ergänzen, verschieben und verändern und muss sie nicht wegwerfen.

Barber: Man kann sie auch reparieren. Wird ein Sitz aufgerissen oder beschädigt, kann man ihn buchstäblich einfach herausnehmen und ersetzen, während ein älterer Sitz repariert wird. Es ist ein Baukasten und wirklich einfach zu bearbeiten. Jemand vom Flughafenteam könnte das System ohne Vorkenntnisse aktualisieren, es müsste nicht zurückgeschickt werden.

Ein wichtiger Aspekt von Soft Work war, Büros wohnlicher zu gestalten – mit mehr Ungezwungenheit und Komfort. Im öffentlichen Bereich gibt es so viele Anforderungen und Bestimmungen, die man erfüllen muss. Wie habt Ihr das geschafft? Und mit welchen Materialien?

Osgerby: Soft Wait ist mit dem sehr strapazierfähigen PVC-freien Kunstleder Skai Pureto EN bezogen, das so robust wie nachhaltig ist. Denn: Soft Wait muss wirklich hart arbeiten. Wir müssen davon ausgehen, dass Kaffee darauf verschüttet wird, dass ein Sandwich auf der falschen Seite landet; manche Passagiere werden ihre Tasche darunter vergessen. Es musste absolut alles durchdacht werden, damit es innerhalb von 10 Minuten nach einem grösseren Lebensmittel- oder Getränkeunfall wieder tadellos aussieht und benutzt werden kann. Abgesehen davon besteht das Hauptgestell aus Stahl, während die Füsse und Armlehnen aus Aluminiumdruckguss – der unendlich oft recycelt werden kann – gefertigt sind. Als wir für den Stuhl Tip Ton [der 2011 für Vitra entwickelt wurde] recherchierten, war für uns die Menge an Abfall, die durch ungeeignete und kurzlebige Schulstühle verursacht wurde, am erschreckendsten. Der Lebenszyklus war furchtbar. Tip Ton war eine Antwort darauf. Wir wollten etwas entwickeln, das voll funktionsfähig ist und einen unglaublich langen Lebenszyklus hat. Und auch mit Soft Work und Soft Wait haben wir versucht, etwas zu schaffen, das zweckdienlich ist und lange hält, das den Kundinnen und Kunden aber auch die Flexibilität gibt, es an Veränderungen anzupassen, so dass man es nicht wegwerfen muss.

Barber: Es ist das erste Produkt seiner Art auf dem Markt. Es ist das erste [Sitzsystem], das gepolstert ist, einen integrierten Stromanschluss hat und so flexibel ist, dass man damit grosse, weite, offene Räume architektonisch gestalten kann.

Osgerby: Ein Teil unserer Überlegungen zu diesem System ging dahin, dass man es in Verbindung mit strukturellen Säulen, die typischerweise in grossen offenen Räumen vorkommen, nutzen kann. Sei es, indem das System sie umschliesst, sei es, indem es zwischen zwei «Buchten» eingebaut wird. Wir haben Soft Wait so konzipiert, dass es grosse architektonische Elemente aufnehmen kann und dennoch praktisch ist, da die Bereiche um diese herum normalerweise toter Raum sind. Das ganze System ist auf Anpassung ausgerichtet. Wenn ein Gebäude möglicherweise einen ganz ungewöhnlichen Knotenpunkt, einen kniffligen Raum oder eine besonders kleine Säule enthält, kann Vitra Spezialteile herstellen, mit denen sich jede Art von architektonischer Installation umsetzen lässt.

An welchen Orten wird dies Eurer Meinung nach passieren?

Barber: Soft Wait kann überall eingesetzt werden. Es ist ein sehr flexibles System, das zudem mit Soft Work kombiniert werden kann. In einer Universität könnte man Soft Wait zum Beispiel im Atrium einsetzen und Soft Work in Räumen, in denen die Menschen länger sitzen und möglicherweise im Team arbeiten werden. Wir denken, dass es im Gesundheitswesen sehr häufig genutzt werden wird.

Osgerby: Soft Wait zielt auf eines der grundlegenden Probleme des modernen Lebens ab: das Warten. Niemand will länger warten als nötig. Mit Soft Wait haben wir versucht, das Warten etwas angenehmer zu gestalten.

Veröffentlichungsdatum: 30.6.2022
Bilder: © Vitra


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