Der Garten als Schnittstelle zwischen Mensch und Natur

Ein Gespräch mit der Kuratorin Viviane Stappmanns

Die aktuelle Ausstellung «Garden Futures: Designing with Nature» im Vitra Design Museum erkundet Geschichte, Gegenwart und Gestaltung von Gärten. Warum Gärten hochpolitische Orte sind, erklärt Viviane Stappmanns im Interview. Stappmanns hat die Ausstellung zusammen mit Nina Steinmüller, Marten Kuijpers, Maria Heinrich kuratiert und sagt: Design und Architektur können viel vom Gärtnern lernen.

Was habt ihr im Zuge eurer Recherchen für die Ausstellung Garden Futures gelernt?

Ein Garten ist immer von Menschen geformt. Deshalb kann man an Gärten ablesen, welche Einstellungen die Menschen zur Natur haben. Das findet man in ganz verschiedenen Kulturen und Epochen. Mal wird die Natur in der Gartengestaltung extrem stark geformt und kontrolliert. Mal soll sie den Anschein erwecken, überhaupt nicht kontrolliert zu sein, ist es aber trotzdem. Was der Garten schon immer war, ist eine Zukunftsprojektion. Wer einen Garten anlegt, wünscht sich eine bessere Zukunft. Heute fragen sich viele Menschen, wie man ernsthaft auf die Bedürfnisse der Natur eingehen und sie schützen kann. In einigen indigenen Gesellschaften gibt es schon lange ein Gestalten der Natur, ohne sie dabei zu zerstören. Dieses Zusammenleben suchen wir heute, ob im Kleinen, mit Sukkulenten im Wohnzimmer oder einem bepflanzten Balkon, oder grossmaßstäblich in der Stadtplanung.

Warum zeigt ein Designmuseum eine Ausstellung über Gärten?

Die kurze Erklärung ist: Jegliches Eingreifen in die Natur und Formen der Natur kann ja als Design verstanden werden. Der Garten ist also ein perfektes Subjekt, um zu untersuchen, wie wir unsere Beziehung zur Natur gestalten. Es gibt noch eine zweite, ganz pragmatische Erklärung, warum wir uns dem Garten zugewendet haben. Diese hat mit dem Oudolf-Garten auf dem Vitra Campus zu tun. Der wurde im Juni 2020 eröffnet, also während der Pandemie. Die Resonanz der Besucherinnen und Besucher war sehr emotional. Das hat uns dazu veranlasst, intensiver über Gärten nachzudenken. Uns wurde schnell klar, was für ein grosses Thema das ist: der Garten als Schnittstelle zwischen Mensch und Natur.

Die Ausstellung ist auch eine Art Vertreibung aus dem Paradies, weil sie viele kritische Perspektiven auf das Gärtnern und die Gartengestaltung zeigt und drängende Themen wie Kolonialismus, Artensterben oder Klimakrise anspricht.

Auch wenn man bei Gärten oft erstmal an private Paradiese denkt, sind sie hochpolitische Orte. Da ist zum Beispiel die Frage nach den Privilegien: Wer verfügt überhaupt über einen Garten, wem steht das zu? Das klingt bei den Themen Gartenstadt, Schrebergarten oder dem Guerilla-Gardening mit an. Die Künstlerin und Landschaftsarchitektin Barbara Stauffacher-Solomon hat einmal formuliert: «Der reiche Mensch besitzt einen Garten, der arme Mensch arbeitet in ihm.» Einen eigenen Garten als privaten Rückzugsort zu haben, ist für die Gesellschaft jenseits des Adels erst ein Phänomen der letzten 200 Jahre.

Was kann das Design vom Gärtnern lernen?

Design und Architektur wollen ein Ergebnis, ein perfektes Produkt schaffen. In Zeiten von ökologischen und sozialen Krisen – zu denen Design und Architektur erheblich beigetragen haben – ist ein Umdenken gefragt. Brian Eno hat mal gesagt: «Denk wie ein Gärtner, nicht wie ein Architekt: Gestalte den Anfang, nicht das Ergebnis». Beim Gärtnern geht es immer darum, Dinge Stück für Stück zu tun. Nicht die perfekte Lösung zu finden, sondern zu reagieren und im Kleinen auszuprobieren. Das ist das Erste, was das Design lernen kann. Und das Zweite ist natürlich, mit Ressourcen zu haushalten. Wenn ich meinen Boden nicht anständig ernähre, dann bekomme ich auch keine anständige Ernte. Diese direkte Beziehung von Geben und Nehmen muss sich in Design und Architektur erst noch durchsetzen.

«Garden Futures. Designing with Nature», eine Ausstellung des Vitra Design Museums, der Wüstenrot Stiftung und des Nieuwe Instituut, Rotterdam

Bis 3. Oktober 2023 im Vitra Design Museum, danach wird die Ausstellung im Design Museum Helsinki und dem Museum of Finnish Architecture (10. November 2023 bis 31. März 2024), im Vandalorum in Värnamo (27. April bis 13. Oktober 2024), im Nieuwe Insituut in Rotterdam (November 2024 bis März 2025) und im V&A Dundee (April bis Dezember 2025) gezeigt.

Veröffentlichungsdatum: 23.6.2023
Autor: Jasmin Jouhar
Bilder: 1. Derek Jarman, Prospect Cottage, Dungeness, Kent, UK, ab 1986, Foto: Howard Sooley, 1993; 2. Friedrich August Krubsacius, Entwurf für einen unbekannten Garten, 1760 © SLUB Dresden / Deutsche Fotothek, Deutschland; 3. Vitra; 4. »Garden Futures: Designing with Nature« © Vitra Design Museum, Foto: Ludger Paffrath; 5.-6: »Garden Futures: Designing with Nature« © Vitra Design Museum, Foto: Ludger Paffrath;


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