Den Osten zu seinem Recht kommen lassen

Ein Gespräch mit Erika Pinner

Aktuell im Vitra Design Museum zu sehen: «Deutsches Design 1949–1989. Zwei Länder, eine Geschichte», die erste umfassende Ausstellung über Gestaltung in Nachkriegs-Deutschland. Ein Gespräch mit Kuratorin Erika Pinner, die die Schau gemeinsam mit Klára Němečková vom Dresdner Kunstgewerbemuseum konzipiert hat. Ab Herbst wird «Deutsches Design» in Dresden gezeigt.

Frau Pinner, haben Sie mit der Ausstellung die gesamtdeutsche Designgeschichte nach 1945 neu geschrieben?

Wir haben die deutsche Designgeschichte nicht neu geschrieben, wir haben hauptsächlich ergänzt, aus der Perspektive des Ost-Designs. Die zentrale Frage war: Wie kann man die beiden Geschichten, die für sich schon sehr komplex sind, zu einer zusammenführen? Ohne dass sie dabei ihre jeweiligen Besonderheiten verlieren?

Die Gestaltung in der DDR stand ja lange im Schatten des westdeutschen Designs, wurde vielleicht sogar belächelt. Spiegelt sich das in der Materiallage wider, gibt es mehr Publikationen und Dokumente zur West-Geschichte?

Ganz klar: Ja. Aber sowohl Klára Němečková vom Kunstgewerbemuseum als auch ich selbst hatte zuvor bereits zum DDR-Design geforscht. Deshalb wussten wir viel mehr über die ostdeutsche Designgeschichte als über die westdeutsche. Es war für uns also einfach, den Osten zu seinem Recht kommen zu lassen. Auch deshalb, weil wir beide nicht in Deutschland geboren sind und mit neutralem Blick auf das Thema schauen.

Gibt es mehr Trennendes in der Designgeschichte der beiden Länder oder mehr Gemeinsames?

Es kommt auf die Epoche an: In den 1950er-Jahren etwa waren sich Entwürfe aus Ost und West oft sehr ähnlich. Abgesehen vielleicht von so bekannten Produkten wie den Braun-Geräten, können Laien die Exponate der Ausstellung gar nicht so leicht einordnen. Dabei war Gestaltung schon in den fünfziger Jahren mit politischer Ideologie aufgeladen, aber man sieht es nicht – übrigens sowohl in Ost wie in West. In den 1960er-Jahren entwickelten sich die Gesellschaften immer mehr auseinander: Während es im Osten zum Beispiel noch Wohnungsnot gab, war das im Westen kaum ein Thema mehr. Das zeigt sich in der Gestaltung. Und im letzten Abschnitt der Ausstellung, in der Zeit von 1973 bis 1989, fällt auf, wie sich die Zahl der Produktneuheiten unterscheidet. Im Westen gab es stetig viele neue Produkte, im Osten liess das nach. Vieles, was produziert wurde, war allein für den Export ins westliche Ausland bestimmt.

Was war die grösste Entdeckung während der Recherche?

An der Bauhaus-Universität in Weimar gibt es das «Archiv der Moderne», dieses Archiv ist für mich eine richtige Fundgrube. Dort wird unter anderem eine Sammlung zum DDR-Designer Horst Michel aufbewahrt, mit vielen Möbelstücken. Michel war in den ersten Jahren nach der Staatsgründung wirklich prägend, aber auch sehr dogmatisch. Er hat Initiativen zur Geschmackserziehung gestartet, er hat sogar versucht, ein Gesetz gegen die Ausbeutung des Volkes durch Kitsch durchzusetzen. Und er hat mit seinem Team vieles gestaltet, was tatsächlich in Produktion ging. Eine wirkliche Ausnahmeerscheinung. Was mich nicht überrascht hat: wie wenig man heute in Deutschland über ostdeutsche Designer und Designerinnen weiss. Horst Michel ist da ein gutes Beispiel, im Internet gibt es ausser einer Seite bei Wikipedia fast nichts über ihn.

West und Ost ist auch mehr als dreissig Jahre nach der Wiedervereinigung für viele ein sensibles Thema.

Ja, auf jeden Fall. Wir sind während der Recherche auf viele Empfindlichkeiten gestossen. Das fängt schon mit der Wortwahl an. Im Osten hiess es Formgestaltung, im Westen Formgebung. Ich als Nicht-Muttersprachlerin kann zwischen den Begriffen nur schwerlich einen Unterschied erkennen. Später kam der Begriff Design auf, aber erst einmal nur im Westen.

Ost und West standen im Wettbewerb der Systeme – worin war der Osten offensichtlich überlegen?

Da fallen mir die Wirtegläser «Superfest» ein, nach einem Entwurf von Margarete Jahny. Die meisten ehemaligen DDR-Bürger dürften die Gläser noch kennen, die gab es in jeder Kneipe und in jedem Gasthof in den siebziger und achtziger Jahren. «Superfest» ging ursprünglich auf eine Forderung der Regierung zurück, die mit bruchfestem Glasgefässen Ressourcen schonen wollte. Es wurde eigens ein Verfahren entwickelt, um Glas haltbarer zu machen. Man wollte das Material auch exportieren, aber die Hersteller aus Westdeutschland und Westeuropa waren nicht interessiert. Sie wollten keine unkaputtbaren Gläser produzieren – das hätte auf Dauer ja den Absatz gefährdet. Das verrät doch viel über die unterschiedlichen Systeme. Denn es sollte doch eigentlich das Ziel von Design sein, etwas Langlebiges zu schaffen. In der DDR war das von grosser Bedeutung, in der BRD eher nicht.
Die Ausstellung «Deutsches Design 1949-1989. Zwei Länder, eine Geschichte» ist bis zum 05.09.2021 im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zu sehen.

Im Rahmen der Ausstellung bietet das Vitra Design Museum ein vielfältiges Digitalprogramm: Online Opening Days

Veröffentlichungsdatum: 25.03.2021
Autor: Jasmin Jouhar
Bilder: © Tim Wegner / laif; Renate Müller, VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Quittenbaum Kunstauktionen GmbH, München; Vitra Design Museum, photo: Andreas Sütterlin; Archive Rudolf Horn, photo: Friedrich Weimer, Dresden; Kunstgewerbemuseum, Dresen State Art Collections, photo: Gunter Binsack;

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