Hacking ist eine kreative Leistung

Ein Gespräch mit Konstantin Grcic

Auch wenn die aktuelle Ausstellung von Konstantin Grcic «New Normals» heisst: Normal ist hier nichts. Der Bürostuhl Allstar beispielsweise ist mit Gymnastikbändern zwischen Gerüststangen eingespannt. Und dem Kunststoff-Sitzmöbel Stool-Tool hat der Designer Antennen aufgesetzt. Im Haus am Waldsee in Berlin zeigt Grcic eine Reihe von Installationen, für die er eigene Entwürfe mit anonymen industriellen Materialien und Produkten kombiniert hat. Anlässlich der Ausstellung ein Gespräch über das Hacken von Produkten, das richtige Mass an Inszenierung und warum eine Ausstellung nicht allen Besuchern gefallen muss.

Für die aktuelle Ausstellung «New Normals» haben Sie Ihre eigenen Möbel mit kleinen Eingriffen verändert oder gehackt, wie Sie es nennen. Einer Ihrer Entwürfe für Vitra, ein Arbeitstisch, trägt den Namen Hack. Was interessiert Sie an der Praxis des Hacking?

Hacking ist eine Form von Aneignung und Individualisierung, man passt die Dinge an die eigenen Ansprüche an und macht sie besser nutzbar. Das ist eine kreative Leistung. Ich finde daran die offene Dimension interessant – man ist aufgefordert, an ein Produkt ranzugehen, es zu erweitern, anzubauen, zu hacken. Ein kommerzielles Produkt, das auf gewisse Art und Weise unfertig ist und erst durch den Eingriff der Nutzerinnen fertig wird – das ist ein Paradigmenwechsel. Diese Idee kommt natürlich aus der Tech-Welt, in der das einfacher umzusetzen ist. Jeder von uns macht sich sein Smartphone zu eigen, durch die Apps und persönlichen Einstellungen. Man richtet es sich so ein, wie man es haben möchte. Möbel sind da viel träger, aber sie bieten sich für so eine Herangehensweise durchaus an, viel mehr als Kaffeemaschinen oder Autos. Möbel kann man umbauen oder anstreichen, man kann ein Loch bohren, Rollen anschrauben.

Welche Eigenschaften braucht ein Produkt oder Möbel, damit es sich hacken lässt?

Die Dinge sollten einfach sein, generisch. Und günstig, das spielt auch eine Rolle. Wenn etwas günstig ist, tut es nicht so weh, ein Loch hineinzubohren. Mit den Studierenden an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg habe ich am Anfang dieses Semesters ein Projekt daraus gemacht: Jeder und jede Studierende bekam ein Exemplar des Tischs Lack von Ikea mit der Aufgabe, etwas Neues daraus zu machen. Man kennt den Tisch, er ist ganz einfach, eine quadratische Platte, vier Beine, deshalb eignet er sich gut für so ein Projekt.

Wie wichtig ist es für Sie als Designer, wie die Menschen Ihre Möbel tatsächlich nutzen? In der Ausstellung im Haus am Waldsee thematisieren sie mit den Eingriffen ja auch alternative Möglichkeiten des Gebrauchs, etwa zwei Sofas zum Trampolin zusammengeschoben.

In meiner Vorstellung ist es das Ideal, dass die Dinge wirklich gebraucht werden. Es ist eine Form von Ermächtigung. Im Sinne von: Das ist meins, ich mache damit, was ich möchte. Die Menschen gehen eine Verbindung ein mit den Objekten. Als Gestalter denke ich im Entwurfsprozess darüber nach, für wen ein Produkt gedacht ist und wie es genutzt werden kann. Aber ich will nichts diktieren, ich versuche lediglich, ein Angebot zu machen. Was schliesslich damit passiert, kann und will ich nicht kontrollieren. Aber ich verfolge das und freue mich, zu beobachten, wie die Menschen meine Entwürfe benutzen.

Das Haus am Waldsee ist ein besonderer Ausstellungsort. Welchen Einfluss hatte das auf das Konzept für «New Normals»?

Die Tatsache, dass das Haus am Waldsee ursprünglich eine Privatvilla war, fand ich sehr herausfordernd. Ich wollte das Haus nicht mit meinen Möbeln einrichten. Wie gestaltet man eine Ausstellung so, dass Möbel zum Exponat werden und nicht zur Einrichtung? Wir haben viele Dinge durchgespielt, teilweise mit grossem Inszenierungsaufwand, um die Ausstellung von der Architektur abzugrenzen.

Sie meinen, Sie wollten mit Elementen wie Podesten, Trennwänden oder Vorhängen arbeiten?

Genau, wir haben in der Vorbereitung ganze Räume entworfen. Das hat Spass gemacht, und als Prozess war es hilfreich. Aber ich habe mich damit unwohl gefühlt.

Warum?

Heutzutage ist es einem sehr bewusst, mit welchem Aufwand man etwas umsetzt. Mit welchem materiellen Aufwand, mit welchem Energieaufwand. Wandert das, was ich da produziere, nach dem Ende der Ausstellung in den Müll? In der Ausstellung gibt es sehr wenig Inszenierung, manchmal geht es nur um die richtige Position im Raum. Einige Objekte sind bewusst so gestellt, dass sie sich nicht auf eine Wand beziehen. Damit man das Haus und die Möbel nicht in eine praktische Verbindung bringt. Damit man sich nicht fragt, ob der Stuhl hier in diesem Zimmer jemandem gehört und welche Funktion er hat. Die Hoffnung war, dass wir mit einigen wenigen Eingriffen starke Bilder erzeugen. Ich wollte mit meinen eigenen Dingen spielen und Szenarien ausprobieren, ohne dass es um zu viel Bedeutung gehen musste.

Und wie reagieren die Besucher und Besucherinnen darauf?

Das Konzept verlangt relativ viel Fantasie von den Besuchern, sie müssen sich darauf einlassen. Das kann man mögen, das kann man auch ablehnen. Eine Ausstellung muss nicht allen gefallen. Mir geht es häufig so, dass ich Ausstellungen, die ich nicht gleich verstehe, oder die mir sogar im ersten Moment nicht gefallen, besonders anregend finde. Sie wirken oft am meisten nach.

Die Ausstellung «New Normals» ist bis zum 08.05.2022 im Haus am Waldsee in Berlin zu sehen.

Veröffentlichungsdatum: 2.3.2022
Autor: Jasmin Jouhar
Bilder: Florian Boehm

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