Das Original

Ein Essay von Rolf Fehlbaum

Wenn die rechtlichen und ideellen Voraussetzungen erfüllt sind, kann man im Design von Original sprechen. Der Begriff steht dafür, dass ein Entwurf unabhängig vom Zeitpunkt seiner Herstellung im Geiste des Designers von den rechtmässigen Herstellern gefertigt wurde und damit authentisch ist. In der bildenden Kunst ist klar, was mit den Begriffen Original und Kopie gemeint ist. Übertragen auf die Verhältnisse des Design müssen sie neu gedeutet werden.
In der Designlogik ist die Reproduktion Teil des Konzepts. Die am meisten verbreitete Missdeutung des Begriffs Original im Designbereich ist, ihn den Exemplaren eines Entwurfs aus der Anfangszeit seiner Produktion vorzubehalten. Nach dieser Auffassung wäre also ein Corbusier Sessel von 1928 oder ein Plywood Stuhl von Charles und Ray Eames aus der Produktion von 1946 ein Original, während die entsprechenden Modelle von Le Corbusier oder der Eames aus heutiger Produktion Kopien wären, ganz unabhängig davon, wer sie herstelle.
Diese Auffassung wird von den Kopisten vertreten. Sie geben zu, dass sie die Originale kopieren, behaupten aber, dass auch die Hersteller, die als rechtmässige Vertreter des klassischen Designs auftreten (in unseren Beispielen Cassina für Le Corbusier und Vitra für die Eames) nichts anderes tun würden; die „Originale“, die Modelle aus der Anfangszeit der Produktion, stünden in Museen und bei Sammlern, nicht aber in den Möbelgeschäften, die mit diesen Herstellern arbeiten.

Diese Argumentation dient der Irreführung. Exemplare aus der ersten Produktionszeit sind von Sammlern begehrte Vintage-Objekte. Sie sind selten, wertvoll und stellen den ersten Ausdruck einer neuen Idee dar. Diese Vintage-Möbel sind Originale, aber der heute vom rechtmässigen Hersteller produzierte Entwurf von Le Corbusier oder von den Eames ist ebenfalls ein Original.
Weshalb? Design ist auf die Lösung konkreter Probleme ausgerichtet. Die Produkte der Anfangszeit stellen den ersten Lösungsansatz dar. Fast immer erweisen sich in der Praxis einzelne Aspekte des Entwurfs als verbesserungswürdig. Charles und Ray Eames haben zeitlebens an der Weiterentwicklung ihrer Entwürfe gearbeitet. Da werden Dimensionen, Materialien, Einzelteile wie Gleiter usw. geändert, weil eine bessere Lösung gefunden wurde. Aus dieser Sicht ist das Produkt aus der Anfangszeit ehrwürdig, aber überholt. Der Begriff Original hat also nichts mit dem Produktionszeitpunkt zu tun.
Voraussetzung für den Status als Original ist vielmehr die Beziehung zwischen dem Designer (bzw. seinen Nachfahren) und dem Hersteller der Produkte. Sie hat eine rechtliche und eine ideelle Komponente: Um von einem Original sprechen zu können, muss dem Hersteller vom Designer das Recht zur Produktion übertragen worden sein. Jeder, der einen Entwurf ohne diese rechtliche Basis produziert, bedient sich bei fremdem Eigentum. Das gilt nicht nur für den Produzenten, es gilt auch für den Konsumenten, der dieses Produkt kauft.

Ebenso wichtig ist die ideelle Beziehung zwischen Designer und Hersteller. Sie drückt sich aus in der engen Zusammenarbeit bei allen Produktionsfragen. Der Kopist hat diese Beziehung nicht: Es bleibt ungewiss, wie stark die Kopie von der Originalidee abweicht, sei es aus Unkenntnis, aus Schlamperei oder aus Gründen der Kostenersparnis.
Das Original kommt von Vitra.

Veröffentlichungsdatum: 11.5.2017, erstmals veröffentlicht 2.1.2009
Autor: Vitra Chairman Emeritus Rolf Fehlbaum
Bilder: Charles Eames während eines Fotoshootings für die Plastic Side Chairs und Dinette Table, 1954. © Eames Office, LLC, 2017; Charles & Ray Eames. © Eames Office, LLC, 2017; Verner Panton bei der Entwicklung des Panton Chairs, © Vitra Design Museum. Jay Osgerby mit einer Zeichnung zum Pacific Chair; © Vitra, Foto: Florian Böhm; Ronan & Erwan Bouroullec und der Belleville Chair, © Vitra. Konstantin Grcic auf einem Prototyp des Stool-Tools. © Vitra, Foto: Florian Böhm. Hella Jongerius während ihrer Arbeit an der Vitra Colour & Material Library, © Studio Likeness.



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