Der «So-sollte-es-sein-Effekt» des Eames Radios

Ein Interview mit Eames Demetrios

Um 1952 hatten Charles und Ray Eames Schichtholzgehäuse für rund 200'000 Radios verschiedener Hersteller produziert. Ein Radioentwurf, den die beiden besonders gern umgesetzt hätten, ging jedoch nie in Produktion. Gemeinsam mit dem Eames Office hat Vitra nun dieses unveröffentlichte Eames Radio von 1946 zum ersten Mal aufgelegt. designboom traf Eames Demetrios, Direktor des Eames Office und Enkel von Charles Eames, zum Interview.

Warum galt genau dieser Radio-Entwurf als Favorit von Charles und Ray?

Das hat aus meiner Sicht viel mit dem Zeitpunkt zu tun. Schon vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg experimentierten die Eames mit der Herstellung von Holzfurnieren und beim Kriegsende waren sie Experten auf diesem Gebiet. Die späten 1940er-Jahre waren eine Übergangszeit – auch Unternehmen, die eigentlich Plastikradios herstellen wollten, hatten Schwierigkeiten bei der Rohstoffbeschaffung. Das Eames Office bot eine ausgereifte Technologie und bekam wegen dieser Expertise von anderen Unternehmen den Auftrag, Radiogehäuse zu bauen. Ich betone diesen Zeitpunkt so, weil es das letzte Mal war, dass Charles & Ray Eames etwas produzierten, was sie nicht selber entworfen hatten.
Bald danach begründeten sie die Kooperationen mit Herman Miller und Vitra, konnten eigene Produktionstechniken entwickeln und im Lauf der Produktion auch bei weiteren Verbesserungen zusammenarbeiten – ein Prozess, der ja nie wirklich endet. Und diese Rolle findet das Eames Office bis zum heutigen Tag reizvoll. Meines Erachtens haben Charles und Ray die Designs der ihnen zur Produktion übergebenen Gehäuse verbessert, um die Technik zu optimieren. Dabei erkannten sie, dass sich mit der vorhandenen Technik viel bessere und technologisch fortschrittlichere Radios herstellen liessen. Da lag es in der Natur der Sache, selber Radios zu entwerfen – auch das Modell, das wir jetzt bauen. Und sie publizierten den Entwurf, damit er sich herumsprach.

Was sind denn Ihre Lieblingselemente des Entwurfs?

Das lässt sich gar nicht so einfach sagen. Für mich ist er ein gutes Beispiel des von den Eames so genannten «So-sollte-es-sein-Effekts», also des Gedankens, dass bei einem wirklich gut gestalteten Objekt die Idee gar nicht aufkommt, dass es gestaltet wurde. In dieser Hinsicht hat das Radio die ehrliche Anmut des kleinen Tischchens LTR. Und auch wenn das nicht zum eigentlichen Design gehört: Es ist nicht unwichtig, welchem konkreten historischen Augenblick das Radio sich verdankt.

Sie haben das Eames-Radio auf 999 Exemplare limitiert. Hoffen Sie, dass es weitere Neu-Editionen sowie das Interesse am Werk der Eames inspirieren wird, oder demonstriert es eher ihren lebendigen Glauben an den Fortschritt?

Zunächst einmal hoffe ich, es macht die Menschen glücklich – wie immer sie Glück auch definieren mögen. Ich hoffe, es erfüllt einen Zweck in ihrem Leben (oder wie Charles immer sagte: „Wer hat denn behauptet, Genuss wäre unnütz?“), und ja, ich hoffe, dass es so erfolgreich sein wird, dass wir weitere Versionen herausbringen können.

Darüber hinaus hoffe ich, dass das Eames Radio Menschen auf das Werk von Charles und Ray Eames aufmerksam macht, die bisher noch keinen Zugang zu ihm gefunden haben. Ich habe es immer als meine persönliche Mission angesehen, die Menschen auf die Vielfalt dieses Werks aufmerksam zu machen und die Erkenntnis zu vermitteln, dass die von Charles und Ray gelebte ganzheitliche Vision auf unterschiedliche Art ihren Ausdruck finden kann. Ich halte das für so wichtig, weil wir uns heutzutage als Spezies in Silos einzusperren und Verbindungen zu bekämpfen scheinen. Aber die Eames legen greifbare Beweise vor, dass es einen anderen Weg gibt – solange wir selbst zu geben bereit sind.

Worin bestehen die Herausforderungen der Aufgabe, dass Re-Editionen und Produkt-Updates authentische Eames-Entwürfe bleiben?

Dazu möchte ich zunächst sagen, dass Charles und Ray die Familie gebeten haben, diese Rolle zu übernehmen. Wir sollen dafür sorgen, dass der Name Eames und das Eames-Logo für authentische Originale stehen, die gemäss den Absichten der Eames hergestellt worden sind. Eine grosse Herausforderung besteht darin, dass die Menschen – und zwar auch viele Designer – Design mit einer künstlerischen Vorstellung von Authentizität verbinden. Soll heissen: Wenn Sie Rembrandts Nachtwache im Rijksmuseum von Amsterdam sehen, können Sie dieses Gemälde nur dort sehen. Und wenn Sie davorstehen und sich in Beziehung zur Leinwand setzen, stehen Sie genau da, wo auch Rembrandt stand. Und es hat etwas Fantastisches, aber diese Vorstellung, dass sich ein einzigartiges Kunstwerk durch die Geschichte hindurchkämpft, ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von Design-Authentizität.

Zum Design gehört von vornherein die Vielfalt. Natürlich gibt es da Ausnahmen – Landschaftsgestaltungen und auch Gebäude sind in aller Regel einzigartig. Und viele Designer entwerfen ganz bewusst Unikate. Aber beim Design, wie Charles und Ray es praktizierten, ging es nicht um die Fetischisierung einmaliger Werke, sondern um die Erschaffung von Systemen, die den Menschen immer wieder dieselbe Gast/Gastgeber-Erfahrung ermöglichen.
Darüber hinaus strebten Charles und Ray immer danach, ihre Entwürfe zu verbessern. Und das setzen wir fort, sind dabei aber ziemlich konservativ. Oft gelten unsere Verbesserungen weniger der Form, als den Materialien. Wir suchen nach umweltfreundlicheren Leimen oder Produktionsmethoden. Wir reagieren auf sich ändernde Standards. Ich bekomme oft zu hören: «Wir wissen aber doch gar nicht, was Charles und Ray gemacht hätten». Doch! Das wissen wir. Weil sie es gemacht haben. Sie haben ihre Familie gebeten, ihre Wahl zu treffen, und uns damit autorisiert, genau das zu tun.

Beim Design geht es darum, sich auf eine Reise einzulassen – und die Reise geht weiter, so lange die Entwürfe relevant sind.
Eames Demetrios ist der Direktor des Eames Office, das über die Arbeiten von Charles & Ray Eames kommuniziert, diese bewahrt und in ihrem Sinne weiterlebt.

Veröffentlichungsdatum: 6.12.2018
Autor: Tim Spears. Eine längere Version des Interviews wurde am 18 September 2018 erstmals auf designboom.com publiziert.
Bilder: Lorenz Cugini, © Eames Office, LLC, Marc Eggimann, Monique Jacot

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