Ich lasse gerne Freiraum für Interpretationen

Ein Gespräch mit Sabine Marcelis

Perspektivwechsel: Die Designerin Sabine Marcelis aus Rotterdam hat die Sammlungspräsentation im Vitra Schaudepot neu gestaltet. Unter dem Titel «Colour Rush!» sind jetzt rund 400 Objekte zu sehen – nach Farben sortiert! Ein Gespräch über starke Gesten, unerwartete Paarungen und den Moment, wenn ein Arrangement perfekt ist.

Mit Farben zu arbeiten, war von Anfang an ein wichtiger Teil Ihrer Designpraxis. Lag es nahe, diesen Ansatz auf die Sammlung des Vitra Design Museums zu übertragen? Oder hatten Sie Zweifel? Wer Bücher nach der Farbe des Rückens sortiert, muss sich ja manchmal Spott anhören.

Sabine Marcelis: Ich weiss genau, was Sie meinen. Das mag ich auch nicht! Farbe ist nicht die richtige Bezugsgrösse, um Bücher zu sortieren. Man braucht eine andere Ordnung, um sie im Regal zu finden. Aber nein, ich hatte keine Zweifel. Es ist ja auch keine Ausstellung über Farbe – das wäre ein sehr grosses Thema. Es ist eine Ausstellung über Design, nur auf andere Weise präsentiert. Die Idee war, frischen Wind durch die Sammlung wehen zu lassen. Bislang war sie ja chronologisch sortiert, wie ein Rundgang durch die Epochen der Designentwicklung. Was passiert, wenn man die historischen Referenzen einfach mal ausblendet? Es ist sehr befreiend, so über die Sammlung nachzudenken. In meiner Arbeit geht es mir oft darum, eine andere Perspektive auf ein Objekt, ein Material oder einen Raum zu finden. Meist reicht dafür eine einzige, starke Geste. Und ich lasse gerne Freiraum für Interpretationen, ich mag es, wenn Menschen etwas anderes in meinen Arbeiten sehen als ich selbst.

Welchen Freiraum gibt es bei «Colour Rush!»?

Die Ausstellung ist sehr zugänglich, zum Beispiel für Kinder oder für Menschen, die noch nicht so viel über Design wissen. Jeder kann seine eigenen Vergleiche anstellen.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Ausstellungsstücke ausgewählt?

In der Sammlung gibt es 7.000 Objekte! Zusammen mit den Kuratorinnen Susanne Graner und Nina Steinmüller haben wir Einschränkungen formuliert, um die Auswahl zu erleichtern. So haben wir entschieden, nur Objekte zu zeigen, die wirklich in einer einzigen Farbe gehalten sind, keine Farbakzente oder Muster. Susanne und Nina haben dann aus dem digitalen Archiv eine Vorauswahl getroffen. Es gab so viele schwarze Objekte! Auch viele rote, orangene und braune – viele warme Farbtöne. Komplizierter war es dagegen beim Grün. Auch die lila, rosa und gelben Regale waren schwierig zu füllen. Was uns sehr wichtig war: mit der Installation eine umfassende Repräsentation von Design zu schaffen und Stücke von Designerinnen und Designern aus allen Kontinenten zu zeigen.

Wie haben Sie die Objekte arrangiert?

Die Installation ist wie ein Farbkreis aufgebaut, den wir durchgeschnitten und aufgefaltet haben. Wenn man das Schaudepot betritt, hat man auf der einen Seite Lila und auf der anderen Seite das Regal mit der Komplementärfarbe Gelb. Auf Gelb folgen Orange, Rot und Braun, nach Lila kommen Blau, Grün und Weiss, zum Schluss Grau und Schwarz. Zwischen Weiss und Grau gibt es zwei Podeste mit transparenten Objekten. Innerhalb der einzelnen Farben haben wir nach Tönen gruppiert. Und wir haben versucht, verschiedene Materialien zu kombinieren, etwa ein Plastikobjekt neben einem gepolsterten. Gerade beim Braun gibt es ganz unerwartete Paarungen, ein alter Thonet-Stuhl neben einem transparenten Panton-Möbel aus den Siebzigern. Wir haben auf jeden Fall sehr intuitiv gearbeitet. Es gab immer den Moment, wo wir uns ein Regal angeschaut haben und wussten: So ist es perfekt.

Eine neue Ordnung bringt neue Erkenntnisse, oder?

Wenn man all die Objekte aus unterschiedlichen Zeiten und Materialien nebeneinander betrachtet, sieht man so viel mehr! Ich zum Beispiel bin beeindruckt von den Produktionsprozessen – wie beim Stuhl «Aluminium Gradient Chair» von Joris Laarman in der grauen Abteilung, er besteht aus 3D-gedrucktem Metall. Was ich nicht erwartet hätte: Wie ruhig und klar die Installation geworden ist. In der Simulation am Computer wirkte es noch sehr unruhig, die Fotos der Objekte waren unterschiedlich. Aber jetzt, da alles Störende entfernt ist, sehe ich klar. Es mag etwas kitschig klingen, aber so ist es für mich.

Die Installation umfasst noch zusätzliche, kleinere Präsentationen.

Ich habe eine Studie aus 40 unterschiedlichen Giessharz-Mustern entwickelt, um zu zeigen, wie Designerinnen und Designer mit Farbe und Material spielen können. In der Mitte befindet sich ein Muster ganz ohne Farbe, dann erhöht sich mit jedem weiteren Muster jeweils schrittweise der Anteil von Weiss, Schwarz oder einer anderen Farbe. So entsteht eine ganze Welt in einem einzigen Material!

Auch Farbstudien von anderen Designerinnen und Designern sind zu sehen.

Die meisten Menschen denken an Stühle, wenn sie an die Sammlung des Vitra Design Museums denken. Dabei gibt es da so viel mehr! Textilmuster und Tapeten zum Beispiel, viele Materialproben von Verner Panton, Farbstudien von Le Corbusier und Hella Jongerius. «Colour Rush!» war die Gelegenheit, all diese Objekte und Materialien einmal zu zeigen.

Veröffentlichungsdatum: 25.7.2022
Bilder: 1.-2. & 10.: Vitra Design Museum, Foto: Mark Niedermann; 3.-4.: Vitra Design Museum, Foto: Mark Niedermann, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022; 5.-9.: Laurence Kubski, im Auftrag für Disegno#33
Autor: Jasmin Jouhar


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