ACX

Interview mit Antonio Citterio

ACX ist der zehnte Bürodrehstuhl, den Vitra in Zusammenarbeit mit dem italienischen Designer Antonio Citterio entwickelt hat. Die Konstruktion, Materialität, Herstellung, Logistik und der Unterhalt von ACX sind auf ein langes Leben und einen möglichst geringen CO2-Abdruck ausgelegt.

ACX ist Ihr zehnter Bürodrehstuhl für Vitra. Was steckt in ihm?

Antonio Citterio: Design ist nie eine Einzeldisziplin – es ist ein wesentlicher Bestandteil des industriellen Fertigungsprozesses. Bei meiner Arbeitsweise wäre es unmöglich, ein Produkt zu entwerfen, ohne mit dem Wissen über die Fertigungstechnologie zu beginnen. Design ist nicht nur eine Frage des Ausdrucks, sondern auch etwas, das all die unterschiedlichen Prozesse, die in ein Projekt einfliessen, umfasst. Der Designer oder die Designerin muss eine ästhetische Vision haben und während des gesamten Fertigungszyklus aktiv am Prozess beteiligt sein. Und nach 30 Jahren der Kooperation kann ich wirklich sagen, dass dieser zehnte Bürodrehstuhl für Vitra das Ergebnis von kontinuierlicher Weiterentwicklung, Wissensaustausch und einer engen, dauerhaften Zusammenarbeit ist.

Wie hat sich die Bürostuhlentwicklung verändert, seit Sie vor drei Jahrzehnten angefangen haben, mit Vitra zusammenzuarbeiten?

Im Vergleich zur Mitte der 1980er-Jahre sind Nachhaltigkeit und der Endpreis eines Produkts zu immer wichtigeren Themen geworden. Heutzutage geht es bei Wettbewerb nicht nur um Qualität, sondern auch um die Gesamtkosten, die untrennbar mit effizienten Fertigungsmethoden verknüpft sind. Produktdesign hängt immer mehr mit der Gesamtvision des Fertigungsprozesses zusammen.

Wie werden diese Prinzipien angewandt?

ACX führt einige innovative Funktionen ein. Umfangreiche Designforschung führte zu neuen Lösungen, die auf jede Schlüsselkomponente angewandt werden konnten, angefangen von der mechanischen Einheit, deren Umfang erheblich reduziert wurde. Es ist uns sogar gelungen, den Mechanismus teilweise innerhalb der Sitzbasis zu verbergen und damit eine schlankere, leichtere Optik zu erreichen. Obwohl die neue mechanische Einheit kompakter ist, ist sie technologisch so ausgereift, dass sie sich in einem grossen Gewichtsbereich automatisch an die Nutzerin oder den Nutzer anpasst.

Und was war das Ziel beim Designprozess in Sachen Ästhetik?

Der Gedanke war, einen zurückhaltenden Stuhl zu entwerfen, mit einer reduzierten Rückenlehne und einer Auswahl an warmen Polsterfarbtönen, die im Homeoffice genauso passt wie in der offenen Büroumgebung. Die Rückenlehne kombiniert einen Rahmen im unteren Teil mit einer Schalenstruktur im oberen Teil. Nur so konnten wir ein derart schlankes, kompaktes Erscheinungsbild schaffen und gleichzeitig die notwendige Ergonomie anbieten.

ACX verfügt über ein neues «automatisches System». Hat dies einen Einfluss darauf, wie er im Büro verwendet werden kann?

ACX kann als persönlicher Bürostuhl verwendet werden, man kann ihn allerdings nicht unbedingt als solchen bezeichnen. Stattdessen ist er ein «anpassbarer» Stuhl, der flexibles Sitzen erlaubt: der Nutzer oder die Nutzerin müssen die Funktionen nicht mehr individuell einstellen, da der Mechanismus sich automatisch an das Gewicht des Nutzers oder der Nutzerin anpasst – aber die Einstellmöglichkeiten sind natürlich dennoch vorhanden. Das bedeutet, dass sie im Büro an jeden Arbeitsplatz sitzen können und sich sofort wohl fühlen, ohne ausser der Sitzhöhe etwas verändern zu müssen.

Hatten Sie bei der Entwicklung von ACX die Nachhaltigkeit im Hinterkopf?

Die Designprozesse für den ACX wurden von der Entscheidung geleitet, recycelte Materialien zu verwenden. Wenn Sie recyceltes Material verwenden, muss die Konstruktion und der gesamte Fertigungsprozess die physischen und mechanischen Eigenschaften des Materials berücksichtigen. Die strukturellen Elemente von ACX bestehen bis zu, je nach Modell, etwa 60 % aus recycelten Materialien.

Wie beeinflusste der Produktlebenszyklus die Entwicklung und das Design?

Die Verwendung von bis zu 100 % recycelbarem Material war der wichtigste Faktor im Designprozess. Heutzutage entwickelt man Entwürfe unter Berücksichtigung des Endes der Produktlebensdauer und überlegt, wie leicht ein Produkt zur Abfallreduzierung zerlegt und recycelt werden kann.

Was bedeutete es für Sie, den Stuhl 100 % recycelbar zu machen?

Die Hauptherausforderung war der Gedanke, einen Stuhl zu entwickeln, der in einzelne Materialien zerlegt werden kann. Man muss sich auch die Gelenke und Verbindungen zwischen den verschiedenen Komponenten genau ansehen, um sicherstellen zu können, dass sie einfach auseinandergenommen und so am Ende der Produktlebensdauer auf sinnvolle Weise entsorgt werden können.

In welchen anderen Bereichen des Entwurfs spielten Recycelbarkeit und Nachhaltigkeit eine Rolle?

Die zu 100 % aus recyceltem Polyester hergestellten 3D-Gestrick sind das Ergebnis einer aufwendigen Entwicklung. Die Rückenlehnenbezüge sind formschlüssig, was bedeutet, dass während der Fertigung kein Material verschwendet wird und später, während der Nutzung der Bezug bei Bedarf einfach ersetzt werden kann. Das verbessert die Nachhaltigkeit des Stuhls noch weiter.

Sie sind nicht nur Designer, sondern auch Architekt. Welche Anforderungen und Trends fallen Ihnen in Büroumgebungen auf, die sie aktuell entwerfen?

In der letzten Zeit habe ich beobachtet, dass die Natur stärker in Arbeitsumgebungen eingebunden wird, dass die Evolution von Beleuchtungskonzepten sich mehr am Tageslicht orientiert, und, was noch wichtiger ist, dass das Büroumfeld immer kooperativer, entspannter und weniger hierarchisch wird. Das liegt daran, dass es immer mehr informelle, flexible, multifunktionale Besprechungsräume und «störende» Elemente gibt, die sich an Wohnumgebungen orientieren.

Veröffentlichungsdatum: 9.10.2023
Bilder: Vitra; Gianluca Di Ioia;

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