The extended workspace

Eine Unterhaltung zwischen Annie Murphy Paul und Nora Fehlbaum

Wenn Mitarbeiter sich unterstützt, eingebunden und motiviert fühlen, verbessern sich die Ergebnisse, und die Produktivität steigt. Aber welche Art von Arbeitsraum fördert diese Stimmung? Neurowissenschaften können bei der Schaffung neuer Umgebungsformen möglicherweise Orientierung bieten. Kann die Spitzenforschung Leuten ermöglichen, ihr Potenzial zu entfalten, und gibt es Möglichkeiten, wie Design jemandem helfen kann, «ausserhalb des Gehirns zu denken»? Nora Fehlbaum unterhielt sich mit Annie Murphy Paul, der renommierten Autorin von «The Extended Mind – Thinking Outside the Brain» (der erweiterte Geist – Denken ausserhalb des Gehirns), über ihre Arbeit und deren Auswirkungen auf die Bürogestaltung. Welche Art von Räumen kann uns dabei helfen, unser Bestes zu geben?

Nora Fehlbaum: Hallo Annie! Ihre Forschung erstreckt sich sowohl auf Arbeitsumgebungen als auch auf Bildungseinrichtungen und öffentliche Räume. Der Einfachheit halber konzentrieren wir uns in diesem Gespräch auf Arbeitsplätze und Büros. Sie haben dazu geforscht, wie ein Arbeitsraum – sei es zu Hause oder im Unternehmen – zur Produktivität beiträgt und Interesse weckt. Können Sie uns einen Einblick in Ihre Erkenntnisse geben, insbesondere bezüglich der Funktion von Autonomie?

Annie Murphy Paul: Ich betrachte dies aus der Perspektive, die als «the extended mind» bekannt ist. Dabei handelt es sich um eine der Philosophie entlehnte Theorie, die besagt, dass wir nicht nur mit unserem Gehirn denken. Wir denken zudem mit dem Körper, der physischen Umgebung und mit unseren Beziehungen zu anderen Menschen. Ein besonders wichtiger Aspekt unserer physischen Umgebung ist die Frage, ob sie unser Gefühl von Autonomie und Befähigung sowie von Kontrolle über unsere physische Umgebung unterstützt. Das kann schwierig sein an Tagen, an denen wir vielleicht keinen festen Arbeitsplatz haben. Darüber hinaus sind wir möglicherweise nicht täglich am selben Ort, z. B. weil wir manchmal zu Hause arbeiten. Meiner Meinung nach gibt es Möglichkeiten, das zu umgehen, beispielsweise durch Schaffung von Räumen, die auf ein Projekt und nicht auf einen Einzelnen ausgerichtet sind, sodass Sie beim Betreten des Projektraumes sofort von all diesen Signalen umgeben sind, die Sie und dieses Projekt unterstützen.

Das Büro hat sich in den letzten zwei Jahren stark verändert, vor allem wegen der ausgedehnten Lockdown-Zeiträume. Da viele Unternehmen eine Rückkehr zum physischen Arbeitsplatz planen, stellt sich die Frage, welche Räume am wichtigsten sein werden.

Ich meine, wir müssen an verschiedene Orte für verschiedene Arten von Aktivitäten denken. Die grösste Kluft besteht zwischen geschützten Räumen, die uns konzentriertes Arbeiten ohne ständige Ablenkung ermöglichen, und Räumen, die soziale Interaktion bzw. spontane Begegnungen zwischen Menschen, aber auch geplante Teamtreffen unterstützen. Darin können alle gemeinsam auf Aufzeichnungen vor Ort zurückgreifen – auf sie zeigen, sie überdenken und verändern. Wir müssen bei der Gestaltung unserer Arbeitsräume sehr durchdacht und bewusst vorgehen, sodass sie genau die Art von Denken unterstützen, die wir von uns und anderen erwarten.

Sie haben auch einen besonders einprägsamen Begriff erwähnt: intermittierende Mitarbeiter. Können Sie erklären, um welche Mitarbeiter es sich handelt, weshalb sie viel effektiver sind und wie die Umgebung sie unterstützen kann?

Ein intermittierender Mitarbeiter ist jemand, der zwei Denk- und Arbeitsweisen trennt. Es geht einerseits um das private, ruhige, ungestörte und konzentrierte Arbeiten, andererseits um eine sehr intensive soziale und gemeinschaftliche Arbeit mit anderen Menschen. Wir wünschen uns Räume, die jede dieser Arbeitsweisen fördern können. Ich habe mich gefragt, ob unsere Homeoffices bei der Tätigkeit zu Hause vielleicht die Räume werden könnten, in denen wir diese ruhigen, ungestörten Arbeiten verrichten. Büros wären dann speziell zur Unterstützung dieser kollaborativen und interaktiven Arbeit vorgesehen.

Es scheint also, dass die Kontrolle über den Raum und die Arbeitsweise sehr wichtig sind. Wenn wir über den Arbeitsplatz sprechen, denken wir oft an das Büro bzw. an Wissensarbeiter und Angestellte. Aber bei vielen Unternehmen, wie Vitra, gehören zur Belegschaft auch zahlreiche Fabrikarbeiter. Wie können wir einige Ihrer Erkenntnisse auf sie anwenden?

Bei den Arbeitsplätzen der unterschiedlichsten Mitarbeiter ist es wichtig, dass diese Räume mit sogenannten «evokativen Objekten» ausgestattet sind: Hinweise auf unsere Identität, die uns daran erinnern, wer wir sind, welche Fähigkeiten wir haben, welche Tätigkeiten wir in dieser bestimmten Funktion ausüben, und auch Merkmale, die Zugehörigkeit vermitteln und uns an Wertegruppen erinnern, denen wir angehören. Unabhängig davon, ob wir als Arbeiter oder Angestellte tätig sind – je evokativer wir unser Umfeld gestalten können, desto besser sind wir dafür gerüstet, hervorragende Arbeit zu leisten.

Angesichts der Möglichkeit zur Telearbeit fragen sich viele, wie die Zeit der Telearbeit am besten genutzt werden kann, und im Hinblick auf das Büro gibt es Überlegungen, wie die Produktivität sowohl der einzelnen Mitarbeiter als auch der Gruppe erhöht werden kann. Wie können wir Räume optimal nutzen, um unsere beste Arbeitsleistung zu erzielen?

Suchen Sie erstens nach Möglichkeiten, bei Ihren Mitarbeitern die Autonomie und ein Gefühl der Befähigung zu stärken, unabhängig von den Räumen, in denen sie arbeiten. Erlauben Sie ihnen beispielsweise, ihre Räume evokativ zu gestalten, oder stellen Sie entsprechende Objekte sogar im Büro zur Verfügung. Zweitens geht es darum, Räume zu schaffen, in denen unsere Ideen, Gedanken und Informationen aus unseren Köpfen in den physischen Raum übertragen werden können. Das eröffnet uns neue Perspektiven auf unsere eigenen Gedanken, und es ermöglicht auch anderen, unsere Denkweise nachzuvollziehen. Drittens würde ich sagen: Holen Sie sich so oft wie möglich die Natur ins Büro. Der Mensch hat sich draussen entwickelt, und es ist immer noch so, dass Materialien, Motive bzw. Pflanzen aus der Natur, natürliches Licht usw. uns in einen Zustand entspannter Wachheit versetzen, der ideal zum Denken und Arbeiten ist.

Haben Sie Tipps für Unternehmen und Manager, die eine erfolgreiche Rückkehr ins Büro planen?

Suchen Sie erstens nach Möglichkeiten, bei Ihren Mitarbeitern die Autonomie und ein Gefühl der Befähigung zu stärken, unabhängig von den Räumen, in denen sie arbeiten. Erlauben Sie ihnen beispielsweise, ihre Räume evokativ zu gestalten, oder stellen Sie entsprechende Objekte sogar im Büro zur Verfügung. Zweitens geht es darum, Räume zu schaffen, in denen unsere Ideen, Gedanken und Informationen aus unseren Köpfen in den physischen Raum übertragen werden können. Das eröffnet uns neue Perspektiven auf unsere eigenen Gedanken, und es ermöglicht auch anderen, unsere Denkweise nachzuvollziehen. Drittens würde ich sagen: Holen Sie sich so oft wie möglich die Natur ins Büro. Der Mensch hat sich draussen entwickelt, und es ist immer noch so, dass Materialien, Motive bzw. Pflanzen aus der Natur, natürliches Licht usw. uns in einen Zustand entspannter Wachheit versetzen, der ideal zum Denken und Arbeiten ist.
Das Interview wurde im Rahmen der Vitra Session «Dynamic Spaces» geführt. Die Vitra Session ist gedacht für Führungskräfte, HR-Manager, Mitarbeiter, Arbeitsplatzexperten, Architekten und Designer, die mit kollaborativen Arbeitsumgebungen ihre Mitarbeitenden inspirieren, engagieren und an sich binden sowie zukünftige Talente anziehen wollen. Weitere Inhalte der Vitra Session stehen im E-Paper für Sie bereit:
Download E-Paper

Veröffentlichungsdatum: 24.3.2022
Bilder: Annie Murphy Paul, Vitra;

Das könnte Sie auch interessieren