Unter Freunden

Interview mit Tina Roth Eisenberg

Ginge es nach Tina Roth Eisenberg, dann wäre ihr Zuhause eine weisse Box: clean, klar designed und makellos ordentlich. Trotz ihrer Lebensumstände – Tina hat einen Ehemann und zwei kleine Kinder, die Familie lebt in New York und hat gerade noch eine schwarze Katze namens Lulu als fünftes Mitglied aufgenommen – kommt das Apartment der Designerin in Downtown Brooklyn bemerkenswert nah an ihre Vorstellung heran. Es ist ordentlich ohne steril zu sein, und überall stösst man auf die offensichtlichen Spuren eines glücklichen Familienlebens: Kinder-Kunstwerke, die Wände und Türe zieren, eine Lego-Burg auf dem Wohnzimmertisch und eine farbenfrohe, aber gut sortierte Büchersammlung.
Tinas Arbeitsplatz strahlt eine ähnliche Wärme aus. Ihre zwei wachsenden Firmen, der Einmal-Tattoo-Store Tattly und die internationale Vortragsreihe CreativeMornings, sind in Brooklyns Boerum Hill Nachbarschaft angesiedelt. Den dritten Stock des fast 300 qm grossen Gebäudes teilt Tina ausserdem mit rund 30 anderen Kreativen, die Tische angemietet haben. Der Name dieses besonderen Ortes steht für sich: Friends. Und obwohl das Büro nicht direkt dem Bild einer makellosen weissen Box entspricht, spiegelt das klare, helle Design doch haargenau Tinas Persönlichkeit wider – und das bis ins Detail.
„Ich zeige euch ein Geheimnis“, sagt Tina, und öffnet eine unauffällige Schublade im Tattly-Büro. Drinnen liegt ein Konfettimeer – pink, pfirsichfarben und leuchtend blau. „Ist das nicht grossartig?“, fragt sie und strahlt dabei wie ein Kind. Mit einem Lächeln beantwortet sie ihre Frage gleich selbst.

Die Öffentlichkeit sieht in dir so etwas wie eine Ideenmaschine. Wo kommen diese Ideen her?

Ich liebe Herausforderungen. Mein persönliches Motto ist: „Anstatt dich zu beschweren, mach es einfach besser!“ Ich habe mich zum Beispiel andauernd über die Einmal-Tattoos beschwert, die meine Tochter mit nach Hause gebracht hat. Eigentlich ein No-Brainer, denn ich bin Webdesignerin und kann im Handumdrehen eine Website machen. Ausserdem habe ich viele Illustratoren im Freundeskreis, die immer interessiert an neuen Projekten sind. Wenn jemand so etwas also einfach zum Spass machen kann, dann bin ich das! Also habe ich gegoogelt, wie man Einmal-Tattoos herstellt und das war’s. Das ist jetzt Tattly.

Wenn man sich die beiden Orte so anschaut – deinen Arbeitsplatz und dein Zuhause – dann ist sofort klar, dass beide zu dir gehören. Sie sind so durchdacht und gleichzeitig beeindruckend ordentlich.

Lustig, dass du das sagst, denn ich lese gerade Marie Kondos „The Life-Changing Magic of Tidying Up" und finde es total amüsant. Ich habe immer geglaubt, dass Objekte Energien und Gefühle haben, und so denkt sie auch. Sie glaubt daran, dass man seinen Socken „Danke“ sagen soll, wenn man sie wegräumt. Ich liebe diese Idee einfach und finde sie wunderschön.
Ich selbst bin allerdings eher fake-ordentlich. Öffnet man den Schrank, ist es darin gar nicht so aufgeräumt, wie man annehmen könnte. Trotzdem sind alle sichtbaren Bereiche in meinem Zuhause und Büro clean und minimalistisch gehalten, weil visuelle Unordnung mich verrückt macht. Ich kann Unordnung einfach nicht ausstehen. Für mich ist sie wie Lärm, einfach unaushaltbar.

Wann bist du in deine neuen Arbeitsräume gezogen – und was hat dich speziell an diesen Ort gebracht?

Eingezogen sind wir am 1. April. Unser altes Büro sollte in Eigentumswohnungen umgewandelt werden und ich bin fast durchgedreht, weil ich so schnell einen neuen Raum für uns finden musste. Dann – drei Wochen später – bekam ich einen Anruf von einem Freund, der The Invisible Dog leitet – das ist ein Kunstzentrum unten im selben Gebäude. Er sagte nur: „Tina, du musst herkommen. Ich verspreche dir, es lohnt sich!“. Also bin ich vorbeigegangen und er sagte: „Hier gibt es gerade ein paar Veränderungen und der Vermieter sucht nach jemandem, der diese beiden Stockwerke mietet. Ich habe ihm gesagt, dass er sich mit dir in Kontakt setzen soll.“ Ich fing an zu weinen, konnte mein Glück erst gar nicht fassen.

Was hast du aus den Erfahrungen mit deinem ersten eigenen Büro Studiomates gelernt, und wie hast du diese in das Design von Friends einfliessen lassen?

Ich habe sehr viel aus der Erfahrung mit Studiomates gelernt. So war es für mich diesmal besonders wichtig, bewusst über die Aufteilung nachzudenken. Es sollte Orte zum Unterhalten und Lautsein geben, einen Konferenzraum und Telefonzellen, ausserdem kleinere Räume für private Gespräche. All das hatten wir im ersten Büro nicht. Wir hatten auch kein Spülbecken – und wenn ich eines gelernt habe, dann, dass man ein Spülbecken braucht.

Insgesamt war der Design-Prozess aber sehr intuitiv. Wir hatten nur sechs Wochen Zeit, also habe ich mich einfach an das gehalten, was mir gefällt. Ausserdem haben wir mit dem gearbeitet, was schon im Raum vorhanden war. Das Gebäude selbst hat viel Charakter, schiefe Böden und Backsteine, die aus der Wand hervorstehen.

Du sagtest, dass du normalerweise nicht mit Innenarchitekten zusammen arbeitest. Geniesst du das Dekorieren und Selbst-Entwerfen?

Ein Architekt hat mir mit dem Arbeitsraum geholfen und mein Mann mit der Küche. Aber die eigentliche Einrichtung ist ganz ohne Designer entstanden. Ich habe ein gutes Gespür für Räume und dafür, wie man Dinge arrangieren muss, um einen Raum zu zelebrieren. Bin ich zu Leuten nach Hause eingeladen, denke ich manchmal, „Lass mich die Möbel nur ein kleines bisschen verrücken – Ich kann das hier so viel besser machen." Eigentlich schrecklich. Es gab Zeiten, da habe ich es auch einfach laut gesagt. Das ist schon leicht obsessiv.

Welche Art von Einrichtung zieht dich persönlich an?

Ich mag minimale Ästhetik. Einfache Linien, kein Schnickschnack, viel Weiss. Wenn ich könnte, dann würde ich in einer weissen Box leben. Ich finde Weiss sehr beruhigend, sehr friedlich. Weiss ist definitiv mein Go-to.

Gibt es eine Designära, mit der du dich stärker identifizierst als mit anderen?

Mir gefallen Stücke aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Aufgewachsen bin ich mit dem Gegenteil: alte, antike Möbel in einem 150 Jahre alten Schweizer Holzhaus. Alles war gross, sperrig und verschnörkelt. Unheimlich altmodisch. Doch inzwischen verstehe ich, dass meine Mutter einen tollen Job gemacht hat – sie war konsequent. Als ich ausgezogen bin, dachte ich allerdings nur: Nein danke. Nie wieder.

Wie hast du damit angefangen, Eames-Stücke zu sammeln?

Tatsächlich sind das alles Dinge, für die ich vorher schon geschwärmt habe. Meinen Occasional Table LTR von Charles & Ray Eames, der jetzt im Büro steht, habe ich bestellt, als ich meinen ersten Job als Juniordesignerin hatte. Der Tisch war überhaupt das erste Möbelstück, das ich mir in New York kaufte. Und dann – buchstäblich am nächsten Tag – verlor ich meinen Job. Ich musste also anrufen und erklären, dass ich die Bestellung stornieren muss. Zum Glück war die Frau, mit der ich gesprochen habe, total lieb und verständnisvoll. Zu der Zeit war es für mich eine Menge Geld.

Ein paar Jahre später sah meine finanzielle Situation dann besser aus und ich habe den Tisch wieder bestellt. Ein tolles Gefühl! Danach habe ich den Eames Plastic Armchair RAR Schaukelstuhl und die Hang it All Garderobe gekauft. Ich erinnere mich noch daran, unbedingt die perfekte Garderobe haben zu wollen. Deshalb habe ich damals richtig intensiv recherchiert, und als ich sie gefunden habe, war für mich alles klar: Es musste der Hang it All sein. Eames House Bird war dann ein Geschenk. Ich liebe ihn einfach – er bewahrt meine Kopfhörer für mich auf.

Welches Stück möchtest du als nächstes in deine Kollektion aufnehmen?

Ich träume von einem schwarzen Lounge Chair von Charles & Ray Eames. Mein Onkel hatte einen, und ich erinnere mich daran, dass er seine Zeitung darin gelesen hat – jeden Tag vier Stunden lang. Er war gebraucht und das Leder deshalb wunderschön und weich. Für mich wird es definitiv ein grosser Moment sein, endlich einen eigenen zu besitzen.

Und was kommt arbeitstechnisch in den nächsten Monaten auf dich zu?

Ab Dezember wird Tattly für vier Monate den Aesop Pop-up-Shop unten im Invisible Dog übernehmen. Wir wollten schon immer mal wissen, wie es ist, einen Shop zu haben. Daher hatten wir die Idee, ihn in einen Einmal-Tattoo-Salon zu verwandeln. Ich habe schon ungefähr zehn Storyboards dafür im Kopf. Es wird einen alten Friseurstuhl geben und falsches Werkzeug. Man kann dann einen Termin buchen und mit seinen Freunden vorbeikommen. Ich bin ganz begeistert von unserer Idee und schon total aufgeregt.

Das ist das Gefühl, das ich am meisten liebe: Die Aufregung die dabei entsteht, etwas Neues zu kreieren. Ich mag keine Wiederholung – sobald ich etwas verstanden habe, langweilt es mich. Es ist einfach grossartig, dass ich beruflich das machen darf, was mich am Glücklichsten macht – und das werde ich auch nie als selbstverständlich hinnehmen. Ich werde so oft gefragt, wie ich Arbeitsleben und Privatleben miteinander vereinbare, aber ehrlich gesagt gibt es da für mich keinen Unterschied. Das ist einfach mein Leben.
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Veröffentlichungsdatum: 12.11.2013
Autor: Shoko Wanger
Bilder: Nicole Franzen



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