Die Konsumentinnen und Konsumenten erwarten nachhaltige Produkte

Interview mit Hella Jongerius

CO2-Emissionen, Netto-Null-Energie, Post-Consumer-Plastik: In den Debatten über nachhaltiges Wirtschaften tauchen viele erklärungsbedürftige Begriffe auf. Mit dem Nachhaltigkeit-Glossar erklärt Vitra die wichtigsten. Die niederländische Designerin Hella Jongerius hat die Illustrationen dazu entwickelt. Umgesetzt wurden die Motive von der schwedischen Illustratorin Linn Fritz. Wir trafen Jongerius in ihrem Berliner Studio und sprachen mit ihr über die Wut der Tiere, Unternehmen in der Waschmaschine und wieso Zeichnungen ein gutes Mittel sind, um Nachhaltigkeitsthemen zu kommunizieren.

Warum ist es eigentlich so schwierig, über Nachhaltigkeit zu sprechen?

Weil alles miteinander verbunden ist. Was ist der wahre Preis eines Produkts? Wie kalkuliert man die Lebensdauer? Was heisst Langlebigkeit? Dann gibt es die gesetzlichen Vorgaben und Normen, die ein Produkt erfüllen muss. Es ist wirklich komplex. Letztlich ist die einzig richtige Haltung, nur so viel zu produzieren, dass die Erde gesund erhalten wird.

Mein Eindruck ist, wenn es um Nachhaltigkeit geht, können sich vermeintlich richtige Antworten widersprechen. Je nachdem, aus welcher Perspektive man auf das Thema blickt.

Deswegen frage ich, ob man innerhalb des kapitalistischen Systems überhaupt nachhaltig wirtschaften kann? Es ist schwierig, wenn man in der Industrie arbeitet oder Unternehmerin ist, weil man immer neue Dinge produziert. Das ist ein Spagat. Deswegen bewundere ich die Leute bei Vitra, dass sie die Herausforderung annehmen. Und nicht nur ein bisschen Greenwashing machen. Sie stecken das ganze Unternehmen in die Waschmaschine. Es ist wirklich eine Investition in die Forschung, in die Produktentwicklung, in die Materialien. Das ist mutig, eine Initiative der dritten Generation, sie gehen voran ...

… und das in wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeiten.

Ja, man hat im Moment nicht das Gefühl, dass man mal mal ein bisschen herumprobieren kann. Aber ich glaube, die Konsumentinnen und Konsumenten erwarten nachhaltige Produkte. Zumindest die jüngere Generation ist nicht begeistert, wenn man Dinge produziert, ohne Verantwortung zu übernehmen.

Sprechen wir über Ihren Beitrag zum Nachhaltigkeitsglossar. Warum haben Sie sich für Zeichnungen als Kommunikationsmittel entschieden?

Als Designerin denke ich im Entwerfen, indem ich Objekte herstelle oder eben, indem ich zeichne. Das ist meine Sprache, so drücke ich meine Sichtweise aus.

Und warum spielen in den Illustrationen mit den «Office Pets» Tierfiguren die Hauptrolle?

Tiere als Botschafter begleiten mich schon länger. Sie wirken unschuldig, deswegen können sie als Charaktere radikaler, lustiger, übertriebener sein als Menschen. Wenn es um Nachhaltigkeit geht, sprechen wir viel über Zahlen, Fakten und Begriffe. Aber es ist nicht nur eine Kopfsache, es geht auch ums Herz, um Gefühle. Humor ist wichtig. Tiere können uns auf humorvolle Weise unbequeme Wahrheiten erzählen. Jeder mag Tiergeschichten, sie erinnern uns an unsere Kindheit. Aber die Figuren dürfen nicht kindisch sein: Die Tiere sind lustig, aber auch schlecht gelaunt, sogar wütend. Schliesslich zerstören wir ihre Lebensräume.

Können Sie denn als einzelne Person, als Designerin überhaupt etwas bewirken?

Ja, ich glaube schon, auch wenn es nur ein kleiner Beitrag ist. Letztlich habe ich mich entschieden, nicht mehr für die Industrie zu arbeiten, weil man dann etwas Neues produziert. Ich habe lange daran gearbeitet, die Industrie von innen heraus zu ändern. Aber das ist nicht mehr meine Rolle. Ich denke, ich kann Menschen besser erreichen, wenn ich Ausstellungen in Museen mache. Ich forsche zu Materialien und stelle die Ergebnisse aus. Materialien sind der Schlüssel, um das Design nachhaltiger zu machen. In den Materialien steckt Wissen und Handwerk – unsere ganze Kultur.

Veröffentlichungsdatum: 12.5.2023
Autor: Jasmin Jouhar
Zeichnungen: Dorothée Billard und Hella Jongerius