«Ich möchte, dass sich die Leute im Garten verlieren»

Interview mit Piet Oudolf

Vor dem VitraHaus, auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein, wächst derzeit ein Garten heran. Geplant wurde er von dem niederländischen Gartendesigner Piet Oudolf, dessen spontan und wild anmutenden Kompositionen aus Stauden und Gräsern Aufträge auf der ganzen Welt einbrachten, darunter etwa auch die Bepflanzung des New Yorker High Line Parks.


Piet Oudolf, eigentlich sollten wir heute gemeinsam in Gummistiefeln über eine Wiese laufen. Stattdessen sitzen wir nun vor unseren Bildschirmen. Verbringen Sie in diesen doch sehr ungewöhnlichen Wochen wenigstens mehr Zeit in Ihrem eigenen Garten als sonst?

Da ich momentan ausschliesslich zu Hause arbeite, bin ich ständig vom Garten umgeben. Insofern, ja. Allerdings würde ich gerne mehr nach draussen gehen. Doch dafür haben wir zu viel zu tun. Ich ordne gerade meine Skizzen und Zeichnungen der letzten 40 Jahre, um sie zu archivieren, und bin deshalb schon seit mehr als drei Wochen damit beschäftigt, alles einzuscannen.

Daneben stecken Sie aber sicher auch noch in vielen laufenden Projekten. Wie sieht die Situation da aus?

Sehr unterschiedlich. Einige sind so weit gediehen, dass die Pflanzen schon gesetzt wurden. Andere, zum Beispiel in Detroit, wo die Bepflanzung ansteht, werde ich leider nicht vor Ort betreuen können. Glücklicherweise habe ich jedoch ein Netzwerk guter Leute, von denen ich weiss, dass sie meine Pläne verstehen und umsetzen können. Dafür muss man nicht nur die Zeichnungen richtig interpretieren können, sondern auch in der Lage sein, die vielen verschiedenen Pflanzen schon in einem sehr frühen Stadium zu erkennen. Wenn sie aus dem Container kommen, sind sie oft noch nicht sehr ausgeprägt. Dafür braucht es Spezialisten, die man nicht an jeder Ecke findet.

In Weil am Rhein werden in diesen Wochen die ersten Pflanzen gesetzt. Können Sie uns sagen, wie der Garten im nächsten Frühling aussehen wird?

So lange müssen Sie gar nicht warten. Es handelt sich zwar um einen so genannten «Perennial Garden», also einen mehrjährigen Garten, wir verwenden dafür aber Pflanzen, die schnell wachsen und reifen. Wenn wir jetzt anpflanzen und das Wetter mitspielt, wird der Garten schon im September gut aussehen.

Wie steht es um die gestalterischen Eigenheiten des Gartens?

Ich habe viel mit Rolf Fehlbaum und anderen Leuten von Vitra diskutiert, um ihnen verschiedene gestalterische Aspekte, die meine Arbeit auszeichnen, näherzubringen. Wir waren uns darin einig, dass wir drei bis vier unterschiedlich bepflanzte Zonen und damit auch verschiedene sinnliche Erlebnisse schaffen wollen. Ich möchte zudem, dass sich die Leute im Garten verlieren, statt einfach nur hindurchzulaufen. Darum habe ich ein System aus kleinen Pfaden entwickelt, ohne gerade Linien oder einen Kristallisationspunkt, auf den alles zuführt. Man schleicht um Ecken herum, nimmt unterschiedliche Perspektiven ein und muss Entscheidungen treffen. Geht man nach links oder rechts?

Das tönt fast nach einem jener gut getrimmten Irrgärten, wie man sie aus der Barockzeit kennt. Doch wenn man sich Ihre Projekte, darunter die New Yorker «High Line» oder den Garten der Galerie Hauser & Wirth in Somerset, anschaut, dürfe es eher ein Stück Wildnis werden.

Zumindest das, was sich viele Leute darunter vorstellen. Wildnis wird oft verklärt und stark romantisiert. Ich versuche, diese Fantasien in die Realität umzusetzen. Doch meine Gärten sind überhaupt nicht wild. Auf den Plänen kann man genau nachvollziehen, wohin ich jede einzelne Pflanze gesetzt habe. Da ist alles durchkomponiert.

Wie gestaltet man eine solche Wildnis?

Wir verzichten weitgehend auf gebaute Strukturen und machen fast alles mit Pflanzen. Sie stehen im Mittelpunkt. In Weil am Rhein verwenden wir rund 30‘000 davon. Allerdings handelt es sich dabei nicht um Wildpflanzen, wie sie die Anhänger der Wildgärten in den sechziger Jahren propagierten. Diese waren zu wild und kompetitiv. Am Ende stand man mit zwei, drei Pflanzen da, die alle anderen verdrängten hatten, und die man nie mehr loswurde. Stattdessen hat eine kleine Gruppe von Leuten, zu denen auch meine Frau und ich sowie unser Freund Henk Gerritsen gehörten, schon vor mehr als 30 Jahren damit begonnen, Gewächse einzuführen, die als Gartenpflanzen unterschätzt oder gar nie in Betracht gezogen wurden. Gräser zum Beispiel, die man von Wiesen kannte, die jedoch bis in die achtziger Jahre niemand in seine Beete steckte. Sie sehen wild aus, wissen sich jedoch zu benehmen.

Wie meinen Sie das?

Jede Pflanze hat ihre Stärken und nimmt einen entsprechenden Platz ein, darf die anderen jedoch nicht zu sehr einschränken, weil sonst das Gleichgewicht in einem Garten gestört wird. Es ist daher sehr wichtig, dass die verschiedenen Pflanzen gut zusammenarbeiten. Wie in einer Community. Oder auf einer Theaterbühne. Jede spielt ihre Rolle, «performt» auf ihre Weise, doch am Ende muss daraus ein interessantes Stück entstehen.

Hört man Ihnen zu, hat man den Eindruck, Sie sprächen hier von Menschen.

Möglicherweise sehe ich in Pflanzen mehr, als andere Leute. Wenn ich sie anschaue, erkenne ich Charaktere mit einer Art Seele, eigenständige Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Auftreten und Verhalten. Entsprechend kann ich sie einsetzen und zusammenstellen. Um im Garten das ganze Jahr über ein sinnliches Erlebnis zu bieten, versuche ich beispielsweise immer, eine Balance zwischen Pflanzen, die gerade blühen, und solchen, von denen vielleicht nur noch ein Samenkopf oder ein Skelett übrig ist, herzustellen.

Apropos Gleichgewicht: Auf dem Vitra Campus trifft eine prägnante, kosmopolitisch geprägte Architektur auf eine ruhige, beschauliche Umgebung. Inwiefern gehen Sie mit Ihrem Garten auf diese Situation ein?

Ich sehe den Garten hier weder als Gegensatz zur Architektur noch als Anbiederung an die Umgebung oder umgekehrt. Er ist komplementär in jeder Beziehung. Mir ist es wichtig, anhand der Pflanzen die Aufmerksamkeit vom weiten Himmel auf den Boden zu lenken und so neue Blickwinkel zu eröffnen. Auch auf die umliegende Architektur.

Arbeiten Sie lieber in urbanen Räumen oder auf dem Land?

Beides hat ihren Reiz. Somerset liegt mitten auf dem Land und funktioniert gut. In der Regel erzeugt meine Arbeit aber in Städten eine viel stärkere Wirkung. Einerseits, weil der Kontrast zur Umgebung grösser ist und andererseits, weil ich in Städten meist Projekte im öffentlichen Raum realisiere, die viel mehr Leute zu Gesicht bekommen. Das gefällt mir. Viele Künstler sehen ihre Kunst wahrscheinlich auch lieber im Museum hängen als in einem Privathaushalt.

Ihr eigener Garten in Hummelo hat über die Jahre aber auch viele Leute in die niederländische Provinz gelockt.

Schon. Ausserhalb meines eigenen Gartens habe ich es jedoch mit ganz anderen Voraussetzungen, Wünschen, Interessen und auch Einschränkungen zu tun. Das fordert mich heraus und treibt mich an. Jedes neue Projekt ist eine Spielwiese für mich. Wenn ich es an einem Ort umsetzen kann, an dem Millionen von Menschen vorbeikommen, ist dies umso besser.

Weshalb?

Mir liegt viel daran, dass die Leute meine Gärten nicht nur auf Bildern sehen, damit sie dasselbe erleben können, was mir widerfährt, wenn ich durch einen Garten laufe. Es geht mir um die Gefühle, die dabei ausgelöst werden. Ich reagiere sehr emotional auf Pflanzen, momentan sogar noch etwas mehr als sonst. Heute Morgen war ich draussen, und was ich sah, berührte mich zutiefst. Diese Sensibilität mag auch der Grund dafür sein, weshalb ich so gut mit Pflanzen arbeiten kann. Ich habe Pflanzen von Anfang an als ein Mittel gesehen, um mich auszudrücken und bei anderen Leuten starke Emotionen hervorzurufen.

Macht Sie das zu einem Künstler? Glaubt man Ihren Bewunderern wie dem Galeristen Iwan Wirth oder dem Kurator Hans Ulrich Obrist, sind Sie dies jedenfalls.

Ich überlasse es anderen, was sie in mir sehen wollen. Für einige Leute bin ich wohl einfach ein Gärtner, andere halten meine Arbeit hingegen für Kunst. Sicher sind da einige Parallelen zur Kunst auszumachen. Ich beschäftige mich mit Ideen und Standpunkten, Ästhetik, Emotionen, der Art und Weise, wie etwas auf den Verstand wirkt und die Leute berührt. Auf der anderen Seite mache ich etwas, das sehr flüchtig und unbeständig ist. Meine Arbeit ist nie abgeschlossen, sie ist jeweils nur der Beginn von etwas. Ich mache kein Gemälde und hänge es an die Wand. Wenn, dann ist es ein Gemälde, das ich wachsen und vergehen lasse.

Es gibt aber immer mehr Leute, die trotz der Vergänglichkeit Ihrer «Gemälde» eines haben möchten. Überrascht Sie das?

Ich frage mich schon, weshalb gerade ich so viel Aufmerksamkeit erhalte, und wie es dazu gekommen ist, dass ich alles umsetzen konnte, wovon ich geträumt hatte. Zu Gute kommt mir bestimmt, dass ich etwas mache, das dem Zeitgeist entspricht. Denken sie nur an die Popularität des «Urban Gardenings» oder von nachhaltig bewirtschafteten Farmen. Wir sind heute gezwungen, anders über unsere Umgebung nachzudenken. Da hilft mir meine jahrelange Erfahrung. Ich träumte schon in den achtziger Jahren von Gärten, die weniger dekorativ und arbeitsintensiv wären, dafür ressourcenschonender, wilder und emotional berührender. Gärten, bei denen nicht alles sofort herausgerissen würde, was nicht mehr blüht, und auch Dingen Raum gäben, die kaum der gängigen Vorstellung von Schönheit entsprechen.

Steckte da auch eine politische Botschaft im Sinne von einer Forderung für mehr Nachhaltigkeit dahinter?

Mit einem bewussten Appell für den Umweltschutz hatte dies nicht viel zu tun, auch wenn es im Nachhinein so aussieht. Noch heute möchte ich den Leuten nicht vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. Wenn ich sie durch meine Arbeit für Pflanzen begeistern kann, freut mich das aber natürlich. Ich setze mehr auf Inspiration als auf Konfrontation. In den letzten 30 Jahren wollte ich vor allem eine Alternative zur traditionellen Landschaftsgärtnerei bieten und habe mit meinen Projekten und Publikationen hoffentlich einen Teil dazu beigetragen, wie die Leute heute über Gärten denken.

So betrachtet, überrascht Ihr Erfolg keineswegs. Er ist eigentlich nur die logische Folge Ihres konsequenten Wegs.

Das tönt gut. Doch es war längst nicht alles geplant. Ich habe einen sehr langen Weg mit vielen Hindernissen zurückgelegt. Vom Restaurant meiner Eltern über verschiedene Gelegenheitsjobs bis zu den Gärten, mit denen ich mich erst mit 25 ernsthaft auseinanderzusetzen begann. 1982 eröffneten meine Frau und ich aus finanzieller Notwendigkeit eine Gärtnerei, die unheimlich bekannt werden sollte – meinen ersten öffentlichen Auftrag als Gartendesigner erhielt ich jedoch erst 1996. Ich fing also nicht mit grossen Ideen, sondern mit harter Arbeit an. Vielleicht fällt es mir auch deshalb schwer, mich als Künstler zu bezeichnen.

Was Sie sicher von anderen Künstlern unterscheidet, ist Ihre Offenheit, was den Eingriff in Ihr Werk anbelangt. Denn irgendwann müssen Sie Ihre Gärten jeweils jenen überlassen, die sie fortan pflegen. Wie leicht fällt Ihnen das?

Ich begleite einen Garten jeweils bis zu einer gewissen Reife und habe ein Bild im Kopf, wie er in ein paar Jahren aussehen wird. Aber mir ist auch bewusst, dass er sich ständig verändern kann. Pflanzen wachsen, einige verschwinden, andere müssen ausgetauscht werden. Ein Garten ist kein abgeschlossenes Werk. Wenn ich Leute mit der Pflege betraue, die meine Vorstellung eines Gartens grundsätzlich teilen, kann ich gut mit Eingriffen und Veränderungen leben. Schliesslich werde ich eines Tages aus dem Rennen sein, während meine Gärten weiterexistieren. Mit Leuten, die ihren Beruf lieben und eine tiefe Zuneigung für Pflanzen verspüren, habe ich gute Erfahrungen gemacht. Ich würde sogar sagen, dass meine erfolgreichsten Projekte von den Gärtnern, die sich um sie kümmerten, zum Erfolg geführt wurden.

Veröffentlichungsdatum: 20.5.2020
Autor: David Streiff Corti
Bilder: © Dejan Jovanovic

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