Saul Steinberg

Wer war er?

Am 5. September 1958 notierte Eleanor Roosevelt in ihrem Tagebuch, dass die meisten ihrer Landsleute – und auch sie selbst – Saul Steinbergs Zeichnungen, die das amerikanische Volk darstellen, besonders amüsant finden. Frau Roosevelt bezog sich dabei auf die kolossalen Wandgemälde The Americans, die Steinberg 1958 für den US-Pavillon der Weltausstellung in Brüssel schuf. Im Grunde meinte sie aber mit ihrer Feststellung, dass Steinberg in jeder Hinsicht als Landsmann galt – achtzehn Jahre, bevor sein bedeutendes View of the World from 9th Avenue in den Kanon der amerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts einging und sechzehn Jahre, nachdem er in die USA ausgewandert war.

Saul Steinberg wurde am 15. Juni 1914 in eine bürgerliche, jüdische Familie in Râmnicu Sârat, einer Kleinstadt im Norden von Bukarest, hineingeboren. Nach der Sekundarstufe führte der chronische, rumänische Antisemitismus dazu, dass er Rumänien verliess und im November 1933 nach Italien zog, wo er sich an der Fakultät für Architektur am Polytechnikum in Mailand einschrieb. Die Jahre in Mailand spielten eine wesentliche Rolle für seine kreative Entwicklung: Er hielt sich oft in einem kulturell anregenden Umfeld auf und begann durch Beiträge in den italienischen Satirezeitungen der 1930er-Jahre seinen eigenen künstlerischen Weg einzuschlagen. So machte er sich schon früh als Cartoonist einen Namen. Er schloss 1940 sein Architekturstudium ab und im darauffolgenden Jahr reiste er wegen des Inkrafttretens der italienischen Rassengesetze in die USA aus, wo er – nachdem er ein Jahr lang in Santo Domingo auf ein US-Visum gewartet hatte – 1942 in New York ankam. Am 25. Oktober 1941 erschien zum ersten Mal eine Zeichnung von ihm in «The New Yorker» und einige Monate später unterschrieb er seinen ersten Vertrag bei dem renommierten Magazin.
Ohne Umschweife erlangte er die amerikanische Staatsbürgerschaft und seine Arbeit war in Amerika praktisch über Nacht von Erfolg gekrönt: 1943 hatte er seine erste Ausstellung; 1945 veröffentlichte er All in Line, seine erste Sammlung von Zeichnungen, und 1946 nahm er neben Robert Motherwell, Arshile Gorky und anderen an der Ausstellung Fourteen Americans am Museum of Modern Art teil. Mit seiner steigenden Bekanntheit entwickelte sich auch sein Stil weiter: Seinen klassischen, frühen cartoonesken Ansatz ersetzte er durch etwas, das Ernst H. Gombrich als eine «Philosophie der Repräsentation» bezeichnete.

Während seiner gesamten Karriere erstellte Steinberg Zeichnungen für The New Yorker und Werke für Kunstgalerien und Museen, entwarf gleichzeitig aber auch Designs für Stoffe, Tapeten, Wandteppiche, Grusskarten und Werbeanzeigen. Sein Werk war, wie Roland Barthes feststellte, sowohl «geschmackvoll als auch beliebt» und behielt, wie Steinberg es selbst ausdrückte, «dieselbe Einstellung des Kindes bei, das Dinge beobachtet, als ob es sie zum ersten Mal sehen würde».

Steinberg hatte dank seines Architekturstudiums eine grosse Affinität zur Architektur- und Designwelt: Seit Ende der 1940er-Jahre arbeitete er mit Skidmore Owings & Merrill, Bernard Rudofsky und dem Mailänder Studio BBPR an diversen, umfangreichen Projekten, und sein Werk wurde von den bedeutendsten Architekten der damaligen Zeit, darunter Le Corbusier oder Alexander Girard, sehr gelobt. Letzterer lud ihn auch ein, an An Exhibition for Modern Living am Institute of Arts von Detroit teilzunehmen.
Steinbergs Parodien von Möbeln und architektonischen Stilen waren amüsant – verrieten aber auch gleichzeitig seinen grossartigen, kritischen Blick auf die zeitgenössische, amerikanische Gesellschaft. Dies fiel auch Charles und Ray Eames auf, die ebenfalls zur Teilnahme an der Ausstellung in Detroit eingeladen waren und deren Stuhl auf den ersten Seiten von Steinbergs zweitem Buch The Art of Living (1949) abgebildet ist.

1950 veröffentlichte Steinberg zwei beigelegte Booklets im namhaften, jedoch nur für kurze Zeit erschienenen Magazin Flair, worin er zunächst mit einer Kombination aus Zeichnungen und Fotografie experimentierte: Er verwendete bestehende Fotografien und zeichnete darauf – zum Beispiel verwandelte er eine Kommode in einen Wolkenkratzer oder er zeichnete direkt auf Möbel und Objekte.
Noch im gleichen Sommer 1950 reiste Steinberg mit seiner Frau Hedda Sterne nach Los Angeles, um die malende Hand von Gene Kelly in Vincente Minellis Film An American in Paris zu «spielen», entschied sich allerdings letztendlich gegen das Projekt. Er blieb für den Rest des Sommers in Los Angeles und verbrachte seine Zeit mit Billy Wilder, Igor Stravinsky und den Eames, die für ihn offenbar immer mehr zu verwandten Seelen geworden waren.

Schon bevor Steinberg an die Westküste zog, hatte ihr gemeinsamer Freund Bernard Rudofsky ihn mit den Eames bekannt gemacht und die drei hatten auch bereits korrespondiert. Es ist also kein Zufall, dass sie sofort mit der Entwicklung einer Reihe von kreativen Experimenten starteten – alle mit dem gleichen, spielerischen Ansatz, der ihnen gemeinsam war. Sie schufen Kulissen, auf die Steinberg seine Figuren inmitten von Eames-Möbeln zeichnete; sie projizierten eine Zeichnung einer Frau auf Rays Gesicht und fotografierten es; sie sammelten Eukalyptusblätter im Garten ihres Studios, damit Steinberg sie durch Illustrationen in Vögel verwandeln sollte. Sie planten sogar einen Film über Los Angeles. Und, zu guter Letzt, fertigte Steinberg einige wenige Zeichnungen auf einigen Eames Fiberglass Chairs an: zwei unterschiedliche Silhouetten von Nacktfiguren und, als Rückkehr zu einem seiner Lieblingsthemen, eine zusammengerollte, schlafende Katze.
Obwohl er und seine Frau Los Angeles am Ende des Sommers wieder verliessen, tauchten weiterhin Eames-Stühle in Steinbergs Zeichnungen auf und die Freunde blieben in Kontakt: in weiter Ferne, und doch so nah.

Veröffentlichungsdatum: 15.06.2023
Autor: Francesca Pellicciari
Bilder: 1. Saul Steinberg with drawn face on his hand, Long Island, 1978 © Estate of Evelyn Hofer; 2. Eames Fiberglass Armchair with nude figure by Saul Steinberg, 1950 © Eames Office, LLC 2023; 3. Steinberg with Papoose in his studio, Amagansett, Long Island, 1974 © The Saul Steinberg Foundation / Artists Rights Society (ARS), New York; 4. Hedda and Saul visiting Eames Office, 1950 © Eames Office, LLC 2023; 5. Eames Fiberglass Armchair with nude figure and cat by Saul Steinberg, 1967 © Eames Office, LLC 2023; 6. Charles Eames and mould of La Chaise with nude figure by Saul Steinberg, 1950, used under the license from Shutterstock.com, photo: Peter Stackpole;

Das könnte Sie auch interessieren