Wir müssen die Beziehung zu unserem Zuhause überdenken

Ein Gespräch zwischen Oona Horx-Strathern und Mateo Kries

Unsere Wohnformen haben sich schon immer verändert. Faktoren wie Nachhaltigkeit, Wohnraumknappheit in Städten oder generationsübergreifende Veränderungen werden sie in den kommenden Jahren prägen. Für die in Wien ansässige Zukunftsforscherin und Trendexpertin Oona Horx-Strathern sind diese Themen kein Geheimnis. In ihrem jährlichen Home-Report teilt sie ihre Sicht zu kritischen Entwicklungen – vom «Hoffice» über die Rolle von Technologie bis zu den Veränderungen, die wir in unseren Städten erwarten können.

Horx-Stratherns eigenes Zuhause ist ein Experimentierfeld für neue Lebensweisen. 2010 hat sie am Rande von Wien für ihre Familie das «Future Evolution House» gebaut. Dieses ist – entgegen dem, was man vielleicht erwarten könnte – nicht vollgestopft mit technologischen Experimenten, sondern basiert auf der Philosophie des «achtsamen Lebens», auf der Verbindung von Mensch und Natur. Mateo Kries, der Direktor des Vitra Design Museums, hat mit Horx-Strathern über die Auswirkungen der Pandemie, über das Arbeiten vom Bügelzimmer aus und über das Gefühl beim Einschalten des Wasserkochers gesprochen.

Mateo Kries: Wie sammeln Sie als Zukunfts- und Trendforscherin Erkenntnisse zur Zukunft des Wohnens?

Oona Horx-Strathern: Ich arbeite bereits seit über 25 Jahren mit Trends und dadurch fühle ich mich sehr alt (lacht). Meine Forschungstätigkeit ist ein sich verändernder Prozess, bei dem man statistische Arbeit und Fakten über unsere Lebensweise mit kulturellem Scannen des Geschehens um uns herum verbindet.

Haben Sie Ihr Zuhause, das «Future Evolution House» in Wien, als Teil ihrer Forschung konzipiert?

Wir wollten unsere Erfahrung mit gesellschaftlichem Wandel nutzen, um unser Haus an das anzupassen, was uns bei unserer Forschung auffiel. Wir dachten, es würde ganz einfach sein, waren dann aber ziemlich erstaunt, über wie viele Aspekte wir uns Gedanken machen mussten. Zum Beispiel fühlten wir uns sehr unter Druck, ein «Smart Home», also das, was man ein intelligentes Haus nennt, zu bauen. Was technologisch intelligent ist, ist jedoch nicht unbedingt auch vom sozialen Standpunkt her eine clevere Idee.

Wie sehen Sie also die Rolle von Technologie im Zuhause?

Wir sahen uns alle möglichen Technologien an und dachten darüber nach, welche Erwartungen wir an einen Raum hatten. Dabei fiel uns auf, dass nicht alles, was damals als «zukunftsweisend» gesehen wurde, auch wirklich sinnvoll war. Meiner Meinung nach liegt das daran, dass wir keine intelligenten, technologischen Lösungen oder eine Vernetzung mit Geräten brauchen. Was wir wirklich brauchen, ist Vernetzung mit anderen Menschen. Wir hatten Alexa und andere Geräte, sie wurden aber alle sehr bald in den Keller verbannt.

Können Sie sich erklären, warum so viele Gadgets eine solch kurze Lebensdauer haben?

Viele dieser Geräte zerstören die natürliche Verbindung von Menschen zueinander, nach der wir uns alle instinktiv sehnen. Wir nennen dieses Phänomen «Technoferenz». Es ist zwar praktisch, dass man vom Bett aus den Wasserkocher anschalten kann, man kann aber auch einfach die Person in der Küche darum bitten oder es selbst tun. Wir möchten kein Concierge werden, der alles durch Knopfdruck erledigt. Dies wird nie das physische Gefühl ersetzen, etwas selbst zu tun. Wir brauchen diese kleinen, menschlichen Rituale als Kontrast zur Digitalisierung.

Viele Menschen glauben, dass die aktuelle, weltweite Pandemie unsere Lebensweise beeinflussen wird.

Viele der Trends, die wir momentan beobachten, waren bereits vor dem Beginn der Pandemie im Gange. Die plötzliche Veränderung beeinflusst nun tatsächlich die Art und Weise, wie wir diese neuen Tendenzen filtern und wie wir uns an sie anpassen werden. Unsere Kommunikation und unsere Vorstellung davon, wie unser Zuhause aussehen soll, sind flexibler geworden. Der Philosoph Gershom Scholem nennt eine solche Situation eine «plastische Stunde», da es dabei um Wandel geht. Es ist eine Zeit für Veränderungen, weil es in unserer Gesellschaft auf einmal «Plastizität», also Gestaltbarkeit und Beweglichkeit gibt. Damit sich Dinge verändern, müssen wir handeln, und Krisenzeiten bieten den Impuls dafür.

Welche Veränderungen halten Sie für besonders wichtig?

Viele von uns hatten vor der Krise nicht die Zeit oder Energie, ihrem Zuhause die Aufmerksamkeit zu widmen, die es verdient hätte. Da wir aber momentan mehr Zeit dort verbringen, sind wir gezwungen, über unsere Lebensweise nachzudenken. Wir müssen die Beziehung zu unserem Zuhause neu überdenken. Vorher fand Arbeiten und Leben in separaten Sphären statt. Jetzt ist das Homeoffice ein wichtiger Teil bei der Planung unseres Zuhauses. Ich nenne meines gerne «das Hoffice», nicht nur, weil das kürzer ist, sondern auch weil es ein bisschen wie Hoffnung klingt, und ich in der Tat hoffe, dass wir im Herzen der Krise auch positive Veränderungen sehen werden.

Welche Auswirkungen hatte die Krise für Sie persönlich?

Als der Lockdown passierte, waren wir plötzlich zu Hause zu sechst, anstatt wie normalerweise zu zweit. Das allein war schon eine grosse Veränderung. Am Anfang gab es einen fast «darwinistischen» Kampf: Wer bekommt den besten Platz am Tisch, wer ergattert den besten Arbeitsplatz ... einmal habe ich sogar in unserem Bügelzimmer gearbeitet, weil es dort am ruhigsten war!

Trotzdem fühlten sich viele Menschen in ihrem Zuhause auch gefangen ...

Unsere Wohnbereiche je nach Funktion zu differenzieren, kann dabei helfen, Grenzen zu setzen, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne. Die Tendenz ging lange Zeit dahin, dass wir in immer offeneren Räumen arbeiten, in denen alles ineinanderfliesst und der Raum unterschiedliche Funktionen erfüllt. Selbst unsere Küchen mussten viele Funktionen erfüllen: Kochbereich, Arbeitsbereich, Spielbereich, gemütlicher Sitzbereich. Jetzt lernen wir, dass das für einen einzelnen Raum einfach zu viel ist. Je mehr Zeit wir zu Hause verbringen, desto mehr lernen wir unsere Wohnräume wieder in eindeutige Bereiche mit klaren, eigenständigen Funktionen zu unterteilen.

Ich kann aus eigener Erfahrung sprechen, dass das absolut sinnvoll ist. Die Idee, in offenen Räumen Funktionen zu mischen, wie es in der Architektur der Moderne vorherrschend war, kann problematisch werden, wenn alle dauernd zusammen zu Hause sind – was in den letzten 100 Jahren ja nicht der Normalfall war. In Ihren Studien erwähnen Sie auch die Tendenz zu generationsübergreifendem Wohnen. Nicht nur die Kernfamilie – Eltern und Kinder –, sondern verschiedene Generationen teilen sich den Wohnraum

Wir leben heute länger als je zuvor, also wird es auch immer mehr ältere Menschen geben. Die Ansprüche und der Geschmack der Baby-Boomer-Generation, die jetzt alt wird, sind ganz anders, als die ihrer Eltern, und sie haben ein viel besseres Verhältnis mit ihren Kindern und den jüngeren Generationen im Allgemeinen. Die Verbindung untereinander ist sehr viel offener und reibungsloser, wodurch Experimente zum Zusammenleben einfacher sind. In unserer individualistischen Gesellschaft leben viele jüngere und ältere Menschen alleine – warum soll man sie nicht zusammenbringen?

Und wie würde das im richtigen Leben funktionieren?

Wir haben in den letzten Jahren einige gute Beispiele gesehen. In Schweden gibt es zum Beispiel eine Initiative, bei der nur Menschen unter 25 und über 70 im gleichen Wohnblock zusammenleben. Es gibt die Vereinbarung, dass alle Bewohner eine bestimmte Zeit mit Gemeinschaftsaktivitäten verbringen, und das Projekt war bisher unglaublich erfolgreich. Menschen lernen voneinander, schaffen gemeinsame Erlebnisse und von einem Generationenkonflikt kann gar nicht die Rede sein. Etwas Gutes, das aus der Pandemie hervorgegangen ist, ist dass wir gelernt haben, offener über Einsamkeit zu sprechen. Das war lange Zeit tabu und wir finden heute immer mehr neue Wege, damit umzugehen. Dies wird grosse Auswirkungen auf unsere soziale und geistige Gesundheit haben.

Und wie sieht es in den Städten aus? Denken Sie, dass die Stadt diese Krise überstehen wird?

Auf den ersten Blick beobachten wir, dass die Menschen in der Pandemie – und schon davor – der Stadt entfliehen wollten. Das Arbeiten von Zuhause aus hat es leichter gemacht, weiter entfernt zu wohnen und dadurch die Pendelzeit zu verkürzen. Damit die Stadt ein attraktiver Wohnort bleibt, muss sie sehr viel «grüner» werden, dafür gibt es aber auch Chancen: Die inzwischen überflüssigen Bürotürme können in Grünflächen mit einer Mischung aus Wohnraum und öffentlichem Raum umgewandelt werden. Wir sehen bereits einige Beispiele, wie dies umsetzbar wäre. Vancouver hat sich zum Beispiel zu einer «Fünf-Minuten-Stadt» erklärt, in der jeder Einwohner innerhalb einer Gehzeit von fünf Minuten eine Grünfläche erreichen können sollte, wo man sitzen und sich ausruhen kann. Der Bürgermeister von Frederiksberg bei Kopenhagen sagte, dass jeder Bürger vom Fenster aus einen Baum sehen können sollte. Wenn wir wollen, dass die Menschen in der Stadt bleiben, brauchen wir diese Art von Energie.

Wie Sie bereits erwähnt haben, lässt uns die Pandemie hinterfragen, wie unser Zuhause gestaltet ist. Bemerken Sie bereits konkrete Auswirkungen?

Ich habe gehört, Kochen sei das neue Pendeln (lacht). Es bietet Unterbrechungen zwischen der Arbeit und dem Privatleben. Die eingesparte Zeit, die man nicht mit Pendeln verbringt, wird in die Küche investiert. Während die Küche früher ein Statussymbol war, das man stolz seinen Gästen präsentierte, ist sie jetzt viel eher zu einer persönlichen Zone geworden. Die Küche ist der Ort, an dem sich die Familie trifft, sie liefert uns Nahrung für Körper und Seele. Auch das Badezimmer hat eine interessante Evolution durchlaufen. Es hat sich von einem sterilen Raum zu einem Wellness-Bereich entwickelt – mit einigen avocadofarbenen Ausnahmen in den sechziger Jahren. Die Pandemie hat das verstärkt und Platz für etwas geschaffen, das wir einen Raum des «Selbstseins» nennen. Das Badezimmer ist zu einem Erholungsraum geworden, wo man eine Pause von allem einlegen kann. Es wird zu einer Art zweitem Wohnzimmer, ein bisschen wie die alte französische Idee des Boudoirs mit seiner heimeligen, warmen Atmosphäre. Im Allgemeinen müssen wir Räume schaffen, in denen man Ruhe oder Energie findet, je nachdem, was man in einem bestimmten Moment gerade braucht.

Veröffentlichungsdatum: 22.4.2021
Bilder: © Oona Horx-Strathern, www.strathern.eu, Foto: Klaus Vyhnalek, www.vyhnalek.com; Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher, www.zukunftsinstitut.de, Foto: Klaus Vyhnalek;

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