Stühle der Macht

Drei Fragen an Kuratorin Heng Zhi

1. UN-Sicherheitsrat, New York, 2008
Das Vitra Design Museum zeigt mit der Ausstellung «Stühle der Macht» im Vitra Schaudepot, wie sich Auffassungen von politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Macht bis heute in unseren Sitzgelegenheiten ausdrücken. Kuratorin Heng Zhi hat dazu drei Fragen beantwortet.

Inwiefern ist ein Stuhl in der modernen Welt ein wichtiger Machtkommunikator?

«Wir leben in einer Welt, in der wir in verschiedenen Medien immer mehr mit Bildern kommunizieren. Ich finde, in dieser Welt werden die Präsentation und Inszenierung unserer visuellen Identität immer wichtiger – sowohl in der politischen Sphäre als auch im Privatleben. So gesehen werden Stühle, wie auch Kleidung, Kunstwerke und andere Objekte von Politikern und Machthabenden zu einem optischen Gesamtkunstwerk, das ihren Managementstil kommuniziert: Steht er/sie für traditionelle oder progressive Werte, für mehr Autorität oder für mehr Gleichheit? In einer digitalisierten Welt kann ein viel grösseres Publikum Antworten finden oder sich zumindest diese Fragen stellen, wenn es Bilder mit der jeweiligen Auswahl von Stühlen und der Innenausstattung sieht.»
2. Gonçalo Mabunda, www.crise.com, 2012
3. Robert Somek, Papstthron, 1994

Gibt es in der Geschichte wiederkehrende Motive, mit denen Führungsgestalten und Autoritätspersonen Macht zum Ausdruck gebracht haben?

«Hohe Rückenlehnen, breite Sitzflächen mit Armlehnen und die Verwendung schwerer, kostbarer Materialien – alles Elemente, die die Ausstrahlung des Sitzenden verstärken. Diese traditionellen Symbole der Macht beeinflussen auch heute unsere Wahrnehmung. Ein Exponat in der Ausstellung, welches diese Motive kombiniert, ist der Papstthron von Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Zagreb im Jahr 1994: Die Rückenlehne ist über zwei Meter hoch, der Stuhl ist schlicht unübersehbar.

Andererseits beobachten wir, dass sich viele moderne westliche Politiker aus dem Wunsch heraus, Gleichheit und Demokratie zu demonstrieren, für Stühle mit einem leichteren und bescheideneren Ausdruck entscheiden. Der East River Chair beispielsweise, den die zeitgenössische niederländische Designerin Hella Jongerius entworfen hat und der von Angela Merkel, Christine Lagarde und Ivanka Trump bei einer Podiumsdiskussion beim Women20-Gipfel in Berlin 2017 verwendet wurde, ist geradezu das Gegenteil des Papstthrons: Er wurde mit niedrigen Rücken- und Armlehnen gestaltet, kombiniert farbige Materialien und hatte ursprünglich Rollen. Diese Design-Elemente vermitteln ein Gefühl von Flexibilität und Pluralität und animieren zu Bewegung und Veränderung in der Politik.»
4. Emmanuel Macron nach seiner Amtseinführung 2017

Haben solche konkreten Macht-Sitze noch weitere gestalterische Gemeinsamkeiten?

«Andere von uns ausgestellte Objekte wie Arne Jacobsens Egg Chair und Joe Colombos Elda Chair charakterisiert die Exklusivität ihrer Rückenlehnen. Die Schalen schirmen die Sitzenden gegen ihre Umgebung ab und wenn mehrere Stühle kreisförmig arrangiert werden, bilden sie einen «Raum im Raum» und vermitteln den Sitzenden das Gefühl einer privilegierten Zugehörigkeit. Beide Modelle beziehen sich in ihrer Formensprache auf traditionelle Ohrensessel, die ursprünglich der Entspannung am Kamin dienten.

Der Aspekt des Sitzkomforts spielt beim Design von Macht-Sitzen erst seit der frühen Moderne eine Rolle. In der Antike und im Mittelalter wurden Stühle selten im Hinblick auf ihre Bequemlichkeit entworfen; wichtig war vor allem ihre Funktion als Symbol von Herrschaft und Autorität. Deshalb schrieben so viele frühe Throne und Herrschafts-Sitze eine ziemlich steife und unbequeme Sitzhaltung vor. Das änderte sich erst mit dem Aufkommen eines wohlhabenden Bürgertums im 18. und 19. Jahrhundert, als Schaukelstühle und andere Freizeitmöbel in Mode kamen, die demonstrierten, dass sich ihre Eigentümer den Luxus von Musse und Entspannung leisten konnten.»
5. Kuratorin Heng Zhi
Stühle der Macht
19.10.2018 – 17.2.2019
Vitra Schaudepot
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Veröffentlichungsdatum: 18.1.2019
Bilder: 1. © Luca Zanier; 2, 3. Jürgen Hans, © Vitra Design Museum; 4. Charles Platiau, © Getty; 5. Bettina Matthiessen

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