«Das Büro stiftet Identität»

Interview mit Pirjo Kiefer

Pirjo Kiefer ist Head of Interior Design Services bei Vitra. Mit einem Team von Innenarchitekten begleitet sie Unternehmen bei der Gestaltung von Arbeitsorten. Schon vor Covid-19 beschäftigte sie sich viel mit den Umbrüchen in der Arbeitswelt, die etwa durch Digitalisierung und Globalisierung entstehen. Welche Themen rücken durch die aktuelle Krisensituation bei den Planern in den Vordergrund? Ein Interview.


Momentan geht es beim Vitra Interior Design Services Team ganz praktisch zu, denn langsam kehren Beschäftigte vereinzelt ins Büro zurück. Für Vitra und auch für Kunden setzt Ihr Team Anpassungen in Büros gemäss der aktuellen Hygiene- und Abstandsvorschriften um. Was ist dabei wichtig?

Man könnte zunächst denken, es geht hier hauptsächlich darum, Büromöbel wie Stühle und Tische zu entfernen, damit grössere Abstände zwischen den Mitarbeitern entstehen. Tatsächlich ist unsere Aufgabe aber viel komplexer und dadurch sowohl herausfordernd als auch sehr interessant. Die Frage ist: Wie bringe ich Mitarbeiter dazu, Abstände und Vorschriften einzuhalten? Wenn wir überall einfach nur Warnschilder aufstellen, fühlen sich alle unwohl und bevormundet. Doch wissen wir alle, wie schnell man die Vorsichtsmassnahmen vergessen kann. Es ist also eine Gratwanderung. Wir haben festgestellt, dass die vorhandenen Möbel – etwa Stühle in einem Besprechungsraum – auch als natürliche Abstandshalter dienen können, wenn sie entsprechend gekennzeichnet sind. Es geht also darum, als Planer vorausschauend und einfühlsam zu sein.

Gibt es bestimmte Bürotypologien, die sich einfacher anpassen lassen als andere?

Hier haben wir in der Tat Interessantes feststellen können. Nämlich: Je offener und flexibler ein Büro geplant ist, desto effizienter ist auch eine Covid-19-gerechte Lösung umsetzbar. Momentan wird vielerorts das Ende des Grossraumbüros heraufbeschworen. Dabei ist es zunächst einmal ganz egal, welche Art von Raumstruktur gegeben ist. Fakt ist: Büros, die von Anfang an auf Veränderung ausgelegt sind – Paradebeispiele sind hier das Dancing Office von Stephan Hürlemann oder auch das Citizen Office von Sevil Peach – sind jetzt ein Vorteil. Einzelbüros oder auch Doppelbüros sind viel unflexibler in der Kapazitätsplanung. Hier kann dann tatsächlich nur noch eine Person sitzen. Und das im Prinzip genauso einsam wie auch im Homeoffice. Warum also überhaupt ins Büro kommen?

Ja, warum überhaupt noch ins Büro kommen? Die Frage stellt sich ja jetzt tatsächlich ganz vielen, die zu Hause arbeiten und merken, dass sie ihre Arbeit genauso gut am heimischen Schreibtisch verrichten können. Was sind Ihre Eindrücke?

Laut einer Studie des Digitalverbandes Bitkom war jeder zweite Berufstätige in Deutschland in der aktuellen Krise erstmals von Heimarbeit betroffen. Das hat viele Digitalisierungsprozesse beschleunigt – die Technologie für das Homeoffice funktioniert nun also. Eine Studie der Stanford University hat ausserdem gezeigt, dass Mitarbeiter daheim produktiver und im Durchschnitt sogar zufriedener mit sich und ihrer Leistung waren. Trotzdem möchten viele zurück ins Büro. Warum? Schon vor der Krise haben wir gewusst: 80 Prozent der wirklich innovativen Ideen entstehen in der direkten, persönlichen Kommunikation. Das wiederum hat eine Studie des Massachusetts Institute of Technologie (MIT) gezeigt. Für die aktuelle Situation heisst das: Die digitalen Technologien haben uns sehr geholfen, effizient zu sein, Projekte abzuwickeln und umzusetzen, egal wo wir arbeiten. Wenn es aber um kritische Auseinandersetzung, um Kreativität und um Innovation geht, dann ist die persönliche Kommunikation nach wie vor unersetzlich. Büros werden zukünftig also dahingehend geplant, dass diese kollaborativen Prozesse priorisiert werden. Welche Prozesse dies aber genau sind, wo genau der Punkt ist, an dem Mitarbeiter besser zu Hause arbeiten und wann sie ins Büro kommen sollten, das wird für jedes Unternehmen anders sein. Es gibt hier kein Richtig und kein Falsch, sondern viel eher ein Spektrum. Es ist für jedes Unternehmen, jede Person und jedes Team unterschiedlich, wie Prozesse und Regeln festgelegt werden, wann im Homeoffice gearbeitet wird und wann nicht.


Open-plan office vor Covid-19:

Open-plan office nach Covid-19:

Wie könnten künftige Arbeitsmodelle also aussehen, und wie die Büros dafür?

Das ist für uns Planer nun besonders spannend. Bei unserer Arbeit werden immer mehr «weiche» Fakturen mitbedacht, nicht nur physische Strukturen. Man muss jetzt planen: Welche Art von Meetings müssen eigentlich stattfinden, und wie? Oder: Wie werden Bereiche gegliedert, damit ganz unterschiedliche Dinge passieren können?

Und: Was uns allen im Homeoffice jetzt fehlt, ist die Identität. Wir vermissen die Kollegen und auch die Kultur, die uns im Büro umgibt. Es geht darum, zu welchem Clan, welcher Sippe man sich zählt. Es gibt ja auch Leute, die dann sagen, ich fahre gar nicht mehr ins Büro, zu Hause geht es auch. Arbeitgeber müssen sich also fragen: Was bietest du an diesem Ort, was du nicht im Homeoffice bieten kannst? Damit wird die Identität des zentralen Bürostandorts für Arbeitgeber und Arbeitnehmer enorm wichtig. Dies ist der Ort, wo die Firmenkultur gelebt wird, wo Begegnungen stattfinden und Ideen ausgetauscht werden. Für uns Planer wird es also in Zukunft darum gehen, diesen Arbeitsort zu stärken.

Veröffentlichungsdatum: 29.5.2020
Bilder: © Vitra

Das könnte Sie auch interessieren