Ein Alcove Sofa generiert einen guten Geist, eine positive Energie

Ein Gespräch mit Ronan Bouroullec

Das von Vitra mit Ronan und Erwan Bouroullec entwickelte archetypische Sofa Alcove mit seinen überhohen Rücken- und Seitenpaneelen steht seit seiner Einführung im Jahr 2006 für moderne, wohnliche Bürolandschaften.

Oft kopiert, aber in Bezug auf Stil und Langlebigkeit nie erreicht, war Alcove eines der ersten Beispiele von Sofas mit mikroarchitektonischer Qualität, die in Open Space Office einen Rückzugs- oder Besprechungsraum bieten. Jetzt haben Vitra und die Brüder Bouroullec das Alcove-Programm weiterentwickelt und erweitert. Ein Gespräch mit Ronan Bouroullec über die Entwicklung:

Vor 15 Jahren haben Sie und Ihr Bruder mit Alcove ein Möbel entworfen, das seinen Benutzern Ruhe, Geborgenheit und eine gewisse Abschirmung vom unmittelbaren Umfeld bietet. Hätten Sie gedacht, dass Ihr Entwurf jemals so erfolgreich und vor allem noch aktueller als zur Zeit seiner Entwicklung werden würde?

Ronan Bouroullec: Nein, auf keinen Fall. Doch die Themen, die wir mit Alcove angesprochen haben, lagen natürlich schon damals in der Luft.

Wie meinen Sie das? An die Corona-Pandemie können Sie 2006 ja nicht gedacht haben.

Ende der 1990er-Jahre träumten viele Menschen von Lofts, grossen Wohnungen ohne eigentliche Raumaufteilung. Plötzlich sollten alle Wände niedergerissen werden, nur um dann durch Mikroarchitekturen mit unterschiedlichen Aufgaben ersetzt zu werden – eine Kiste, in der man kocht, eine Kiste, in der man schläft und eine Kiste, um darin fernzusehen. Dabei ging es den Leuten auch um Schutz und Geborgenheit.

Sie wollten den Leuten also eine Nische – deutsch für Alcove – schaffen, in die sie sich verkriechen konnten, wenn sie Angst vor der grossen Weite hatten?

Genau. Die ganze Geschichte begann allerdings mit einem Sofa, das ziemlich erfolglos blieb. Es hatte ungefähr die Höhe des niedrigen Alcove und war für Wohnumgebungen gedacht, aus unterschiedlichen Gründen kam es dort jedoch nicht besonders gut an. Vielleicht, weil es kein Sofa war, in das man hineinsinkt. Man sass eher «auf» dem Sofa. Bei einem Meeting mit Rolf Fehlbaum, Erwan und mir in Birsfelden standen wir dann um das Sofa herum, als ich ein Stück Karton sah und es zwischen den Stahlrohrrahmen und die Polster klemmte, um eine hohe Umrandung zu formen. Rolf Fehlbaum fand diese Idee sehr interessant und schlug vor, eine Variante mit hohen Rücken- und Seitenwänden zu entwickeln. Das war einige Wochen vor der Büromöbelmesse Orgatec. Vitra entschied, das Sofa auf der Messe zu zeigen, in der Mitte des Standes.

Wie haben die Leute auf Ihre Idee reagiert? Wurde sie auf Anhieb verstanden?

Auf Messen wird selten direkt am Stand über geschäftliche Dinge gesprochen. Dafür gibt es abgeschirmte Zonen, oder man spricht in den Gängen zwischen den Ständen. Auf der Orgatec sah man damals jedoch Leute, die im Alcove finanzielle Angelegenheiten besprachen. Offenbar fühlten sie sich geschützt genug dafür. Da wurde uns bewusst, dass unsere Idee funktionierte und wir ganz offensichtlich ein Bedürfnis getroffen hatten. Der grosse Anklang, den das Produkt in der Folge fand, bestätigte dann unseren ersten Eindruck.

Waren Sie überrascht, dass ein Sofa, das ursprünglich für zu Hause gedacht war, in der «Bürowelt» auf ein so grosses Interesse stiess?

Nicht wirklich. Für mich ist ein gutes Sofa einfach ein gutes Sofa. Das kann im Büro ebenso gut funktionieren wie zu Hause. Die Bürolandschaft der frühen 2000er-Jahre präsentierte sich zudem ähnlich wie die Loftwohnungen, die ich vorhin erwähnt habe. Während man zuvor noch jeweils Räume mit einer Handvoll Mitarbeitern oder gar Einzelbüros angetroffen hatte, arbeiteten nun alle im selben Raum. Die letzten Wände waren gefallen, doch das Bedürfnis nach einer Rückzugsmöglichkeit war damit ja nicht einfach verschwunden.

Aber Sofas im Büro waren zu jener Zeit noch etwas gewohnheitsbedürftig.

Viele Unternehmen mussten erst einmal das Vertrauen aufbauen, dass ihre Mitarbeiter nicht einfach ans Schlafen denken, wenn ein Sofa im Büro steht. Und sie mussten realisieren, dass man mit einer besseren, «wohnlicheren» Atmosphäre im Büro den Mitarbeitern auch Wertschätzung entgegenbringt und diese dann unter Umständen besser arbeiten. Bei der Sofa-Frage ging es nicht zuletzt um die Beziehungen innerhalb eines Unternehmens. Ich glaube daher auch, dass der Erfolg von Alcove nicht einfach nur auf seiner Funktionalität und Form beruht, sondern mindestens so sehr auf der Haltung, die es verkörpert. Wenn ein Unternehmen zeigt, dass es nicht nur immer um Performance und Profit geht, sondern man sich auch ums Wohlbefinden der Mitarbeiter kümmert, hat das eine grosse Signalwirkung.
Ein Alcove Sofa in der Mitte eines Büros funktioniert wie ein Teebeutel, der in heisses Wasser getunkt wird. Es generiert einen guten Geist, eine positive Energie.

Wollten Sie denn damit auch die Verhaltens- und Arbeitsweisen im Büro verändern?

Durchaus. Wir hatten schon mit dem Tisch Joyn, den wir für Vitra entworfen haben, die Idee, die Arbeitsabläufe im Büro etwas auf den Kopf zu stellen. Alle sollten um einen einzigen grossen Tisch herumsitzen, ziemlich kompakt. Wir wollten damit Platz gewinnen, allerdings nicht, um mehr Menschen in einen Raum zu stopfen, sondern um Platz für andere Dinge zu gewinnen, die inzwischen für viele Berufe sehr wichtig geworden waren. Für Diskussionen beispielsweise, konzentriertes Arbeiten, informellen Austausch. Alcove ist aus demselben Gedanken heraus entstanden. Es sollte einen Raum im Raum schaffen, den man ohne grossen Aufwand verändern und flexibel an aktuelle Bedürfnisse anpassen konnte.

Sie arbeiten seit 2006 an der Alcove-Kollektion. Was hält Ihr Interesse an diesem Produkt wach?

Es ist immer noch relevant oder vielleicht relevanter als je zuvor, wie wir anfangs dieses Gesprächs schon festgestellt haben. Es geht immer noch darum, die Leute zu unterstützen und ihnen die bestmögliche räumliche Situation für jeden Arbeitsschritt und jede Aufgabe bereitzustellen. Für mich ist es immer sehr interessant, zu sehen, in welch unterschiedlichen Situationen Alcove zum Einsatz kommt. Kürzlich erzählte uns ein Architekt, dass er das System bei einem Polizeiposten benutzt habe. Für Gespräche mit Opfern von Gewalt, insbesondere sexueller Gewalt. Alcove biete einen sehr guten Rahmen dafür, weil sich die Leute geschützt fühlten und so einfacher darüber sprechen könnten, was ihnen widerfahren sei, sagte er. Das hat mich sehr berührt und mir auch gezeigt, wie wichtig es ist, eine gute Atmosphäre zu schaffen. Mir ist bewusst, dass ein Sofa nicht die Welt verändert, aber ich möchte wenigstens einen Beitrag zu einer positiven Entwicklung leisten.

Nun gibt es eine neue Generation von Alcove. Was gab es nach all den erfolgreichen Jahren denn noch zu verbessern?

Wir haben uns gefragt, weshalb Alcove nicht eine ganzheitliche Lösung sein sollte. Dazu haben wir einige Anpassungen vorgenommen und das System so erweitert, dass wir nun praktisch alle Bedürfnisse eines zeitgemässen Büros abdecken, eines Büros, das auch während und nach der Pandemie noch Sinn ergibt. Klar kann man heute viele Dinge im Homeoffice erledigen, vorausgesetzt, man befindet sich in einer Situation, die einem ein solches Arbeiten erlaubt. Doch gemeinsam Ideen zu entwickeln und auch einmal ganz ungezwungen zu diskutieren, geht aus der Ferne einfach weniger gut. Ich denke deshalb, dass die Leute hauptsächlich aus dem Bedürfnis nach sozialer Interaktion und Kommunikation ins Büro kommen werden. Dazu braucht es aber auch eine räumliche Entsprechung. Mit Systemen wie Alcove kann man eine Situation ähnlich der in einer Bar schaffen. Man kommt und geht individuell, setzt sich mit den Leuten zusammen, mit denen man gerade etwas diskutieren muss oder möchte und zieht sich dann für ein Telefongespräch mit einem Klienten wieder zurück. Diese Flexibilität wird immer wichtiger.

Wie schaffen Sie diese Flexibilität denn ganz konkret?

Wir haben beispielsweise einige Modelle mit Rollen bestückt. So lassen sich die Möbel sehr schnell und selbständig verschieben. Noch weiter geht die Idee der Paravents, die mir sehr gefällt. Sie ist absolut einleuchtend, kann man auf diese Weise doch bereits mit einem einzigen Sofa einen Raum konstruieren. Ausserdem wird das relativ strenge Raster, das die miteinander arrangierten Sofas bislang gebildet haben, viel organischer.

Sie haben das Arbeiten von zuhause angesprochen. Mittlerweile wünschen sich wohl viele Leute das Alcove für zu Hause, um sich für einen Augenblick von ihren Partnern, Kindern und anderen Mitbewohnern abzukapseln. Geht Ihnen das auch so?

Ich mag es, meine Familie um mich herum zu haben, wenn ich arbeite. Mich stört ihre Präsenz überhaupt nicht, selbst wenn ich mich konzentrieren muss. Das Alcove eignet sich gut dazu, es ist eine Art Filter, aber keine Wand. Dieser Filter funktioniert auf beide Seiten. Wer ausserhalb des Alcove ist, weiss, dass ich an etwas arbeite, wenn ich da drin bin. Es hat eine Signalwirkung. Ausserdem ist meine Tochter schon 13-jährig und rennt nicht mehr in der Wohnung herum.

Und wie sieht es bei Ihnen im Studio aus, haben Sie da entsprechende Möglichkeiten, sich zurückzuziehen?

Ehrlich gesagt ist mir das dort gar nicht so wichtig. Gerade während des ersten Lockdowns, als ich alle meine Mitarbeiter nach Hause geschickt habe und sie während zweieinhalb Monaten nur anrufen konnte, um mich nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen, habe ich festgestellt, dass ich sie unheimlich vermisse. Ich brauche viel Interaktion und bin gerne von meinen Assistenten umgeben. Ich liebe dieses Chaos aus 3D-Modellen und Kartonresten, diesen Austausch von Ideen und die ständige Bewegung.

Wie muss man sich Ihre bevorzugte Körperhaltung bei der Arbeit vorstellen?

Denken Sie an einen Tiger im Käfig. Im Laufen denke ich, schaue, was meine Mitarbeiter machen, diskutiere mit ihnen über Konzepte oder verwerfe Ideen. Sitzend findet man mich selten vor. Ich hatte daher auch nie das Bedürfnis nach einem höhenverstellbaren Arbeitstisch. Ich empfinde es als Privileg, dass ich nicht stundenlang in derselben Position verharren muss.

Veröffentlichungsdatum: 17.6.2021
Autor: David Streiff Corti

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