"Nicht ein Bauhaus, sondern viele Bauhäuser"

Kuratorin Jolanthe Kugler über ihre aktuelle Ausstellung „Das Bauhaus #allesistdesign“ im Vitra Design Museum

1919 wurde das Bauhaus von Walter Gropius in Weimar gegründet. Die weltweite Faszination für die deutsche Bewegung ist bis heute ungebrochen. Um kaum eine andere Institution ranken sich so viele Mythen wie um die einflussreichste Kunst- und Gestaltungshochschule des 20. Jahrhunderts. “Das Bauhaus #itsalldesign“ im Vitra Design Museum transportiert das Bauhaus in die Gegenwart.

Jolanthe Kugler, was macht das Bauhaus fast hundert Jahre nach seiner Entstehung noch immer aktuell?

Das Bauhaus setzte Standards für die Kunst der Avantgarde und wurde gleichzeitig zum Akteur gesellschaftlicher Transformation. Künstler, Wissenschaftler, Kunstmäzene und Architekten lehrten am Bauhaus, hielten Gastvorträge, publizierten in der Reihe der Bauhausbücher oder waren Mitglieder des Freundeskreises. Das Bauhaus entwickelte einen Gestaltungsbegriff, der das 20. Jahrhundert prägen sollte – und der Möglichkeiten und Ansätze eines Gestaltungsbegriffs für das 21. Jahrhundert bereithält. Alle Protagonisten des Bauhauses waren verbunden durch die Idee, mit der Neugestaltung aller Lebensbereiche eine neue Gesellschaft zu schaffen. Und diese Idee ist natürlich – wenn man die Parameter etwas ändert – heute wieder hochaktuell, auch wir befinden uns in einem Moment der grossen gesellschaftlichen Veränderung.

„Das Bauhaus #allesistdesign“ zeigt auch vom Bauhaus inspirierte Objekte zeitgenössischer Künstler. Wie manifestiert sich der Bauhaus-Gedanke in diesen Kunstwerken?

Die in der Ausstellung gezeigten zeitgenössischen Werke lassen sich in zwei Kategorien aufteilen: Zitate und Objekte, die zeigen, dass sich zeitgenössische Gestalter nach wie vor mit dem Bauhaus-Gedanken aktiv auseinandersetzen und Werke, die eigens für die Ausstellung entstanden sind und in denen sich der Künstler oder Designer mit einem spezifischen Bauhaus-Thema auseinandergesetzt hat.

Auf der einen Seite zeigen wir Werke von Designern wie Jerszy Seymour, der sich, genau wie die Bauhäusler, mit Experimenten zu Materialität und Produktion beschäftigt, oder die Arbeit des Studios Opendesk, das heutige industrielle Fertigungs- und Vertriebsstrukturen in Frage stellt. Die Auftragsarbeiten wiederum hinterfragen kritisch unsere Sichtweisen auf das Bauhaus und seine ikonischen Objekte. Zum Beispiel zeigt Olaf Nicolai eine Performance zu den unveröffentlichten Titeln der Bauhausbücher-Reihe.

Die Ideen und Ansätze des Bauhauses waren vielfältig. Wie gehen Sie als Kuratorin mit der Komplexität des Bauhauses um?

Die Ausstellung „Das Bauhaus #allesistdesign“ stellt das umfassende Verständnis von Gestaltung und die Definition der Rolle des „Designers“ (den man damals natürlich noch nicht so nannte) der Bauhäusler ins Zentrum. Ich wiederhole immer, dass es eigentlich nicht ein Bauhaus gibt, sondern viele Bauhäuser. Obwohl das Bauhaus eingehend erforscht scheint, bewahrt es sich durch seine Vielschichtigkeit doch eine gewisse Unschärfe. Auch wenn es eine beeindruckende Produktivität an den Tag legte, blieb es doch in erster Linie eine Idee, eine orientierende Fiktion, ein utopisches Ganzheitsstreben. Das Bauhaus war eine Idee und eine Lebensvorstellung, kein Stil, sondern eine neue Art zu denken – im Kleinen wie im Grossen. Das ist, was die Ausstellung zeigen will.

Der Hashtag #allesistdesign ist Teil des Ausstellungs-Titels. Warum?

Für das Bauhaus war nicht nur die Form eines Stuhls eine Frage der Gestaltung, sondern ebenfalls die Form des Zusammenlebens, die Gesellschaft, die Gemeinschaft, die Strukturen, Institutionen und Prozesse. Architektur und Design wurde eine gestalterische und erzieherische Kraft zugesprochen und so sollte Gestaltung letztlich dazu dienen, die Welt gerechter zu gestalten.
Das Bauhaus war eine Idee und eine Lebensvorstellung, kein Stil, sondern eine neue Art zu denken.
Auch ganz aktuell lassen sich die Gestalter immer weniger auf ihre traditionellen Rollen beschränken. Sie experimentieren mit neuen Formen gesellschaftlicher Teilhabe an Gestaltungs-, Verwertungs- und Nutzungsprozessen. #allesistdesign ist eine Brücke zwischen dem „Bauhaus“ und heutigen Designtendenzen, die auch sehr stark von Phänomenen wie der Digitalen Revolution oder eben den Sozialen Medien beeinflusst sind.

Die Idee des „neuen Typus des Gestalters“ galt damals als revolutionär. Welche Design- oder Gestaltungsströmungen sind das heutige Equivalent?

Das Bauhaus steht am Anfang eines umfassenden Verständnisses von Design, das heute tatsächlich auch wieder mit neuem Nachdruck gefordert wird: Diesmal geschieht dies unter Stichworten wie Social Design, Open Design oder »design thinking«. Grundsätzlich wird erneut diskutiert, wie Designer ihre Arbeit in einen grösseren Zusammenhang stellen und die Gesellschaft mitgestalten können.
Mehr Information zur Ausstellung finden Sie hier:www.design-museum.de →

Veröffentlichungsdatum: 10.7.2015
Autor: Vitra
Titelbild: Kurt Schmidt mit F.W. Bogler und G. Teltscher, »Das mechanische Ballett«, 1923, Neuinszenierung Theater der Klänge, 2009; Foto: O. Eltinger

Ausstellungsbilder: © Vitra Design Museum, Mark Niedermann



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