Momente der Architektur

Ein Gespräch zwischen Iwan Baan und der Kuratorin Mea Hoffmann

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Iwan Baan gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Fotografen für Architektur und die gebaute Welt. Der niederländische Fotograf ist insbesondere für Bilder bekannt, die vom Leben mit und in der Architektur erzählen.


Mea Hoffmann: Worum geht es in Ihren Bildern – um Gebäude oder um Menschen?

Iwan Baan: Meine Bilder erzählen Geschichten. Mir geht es nicht darum, Architektur zeitlos darzustellen, auch nicht um stilisierte Kompositionen oder Details. Mich interessiert, was einen Ort besonders macht. Architektur ist zwangsläufig ortsspezifisch. Aber was macht die alltäglichen Geschichten dahinter und die Menschen dort so einzigartig? Es geht um die Zusammenhänge, um diesen einen Moment. Ich möchte den Blick auf die Aspekte lenken, die mir ins Auge fallen. In meinen Bildern gibt es immer viel zu entdecken und wiederzuentdecken: die Menschen, die Umgebung, die Landschaft, die Stadt; Kurioses und Unvorhergesehenes. Meine Arbeiten stellen oft ganz persönliche Momente in den Mittelpunkt, sodass die Architektur fast verschwindet. Das verdeutlicht aber auch die Allgegenwart von Architektur als Bühne des Alltags.
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Warten Sie auf den perfekten Augenblick, bevor Sie eine Aufnahme machen?

Ich gehe eher intuitiv an meine Projekte heran und versuche, unvoreingenommen zu sein. Es geht ja vor allem darum, Möglichkeiten zu erkennen, präsent zu sein – bereit für das Unerwartete, das jederzeit eintreten kann. Gute Architektur wirkt meiner Meinung nach bei jedem Wetter und unter allen Gegebenheiten. Dabei geht es gar nicht um die äußeren Bedingungen, wichtig ist vielmehr, offen für den Moment zu sein. Da gibt es immer ganz viele Puzzleteile, die sich dann irgendwie zusammenfügen. Es gibt Bilder, die ich unter wirklich schwierigen Bedingungen gemacht habe. Bei heftigem Regen oder, wie in New York nach dem Wirbelsturm Sandy, bei Stromausfall. Aber in solchen Momenten scheint plötzlich alles einen Sinn zu ergeben.
«Mich interessiert es, wie Menschen ihre Welt gestalten, Orte erschaffen, und diese beleben und bewohnen.»
Iwan Baan
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Sie sind besonders für Ihre Fotografien zeitgenössischer Bauwerke bekannt. Wie kommen solche Aufträge zustande?

Meine Aufträge sind oft mehr wie eine Zusammenarbeit. Normalerweise sprechen wir vorher nicht viel darüber. Ich komme nicht mit einer To-do-Liste oder einem klaren Auftrag zum Standort. Es gibt ein beidseitiges Vertrauen zwischen den ArchitektInnen und mir. Es ist mir wichtig, den Ort entdecken und kennenlernen zu können. Die ArchitektInnen begleiten so ein Projekt oft schon seit Jahren und haben sehr genaue Vorstellungen und Ansichten. Bei mir geht es daher auch um den frischen Blick auf den Ort: Ich beobachte das Leben und Treiben, betrachte alles mit neuen Augen und sehe Dinge, auf die die ArchitektInnen nie gekommen wären. Man könnte annehmen, dass die Fotografie einen objektiven Blick bietet, aber meine Auftragsarbeiten geben eher meinen persönlichen Blick auf das wieder, was mir begegnet. Wie überhaupt bei meiner Arbeit geht es immer um die Geschichten, die sich innerhalb der Architektur und ihrer lokalen Kontexte entfalten.
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Ihre eigenen Projekte beschäftigen sich auch mit indigenen und informellen Bauten auf der ganzen Welt. Gehen Sie an diese Projekte anders heran als an die Auftragsarbeiten?

Ich sehe da keinen großen Unterschied. Mich interessiert es, wie Menschen ihre Welt gestalten, Orte erschaffen und diese beleben und bewohnen. Mit oder ohne Architekten. Aus purer Notwendigkeit oder aus der Fülle schöpfend oder irgendwo dazwischen, egal unter welchen Bedingungen. Die ArchitektInnen aus meinen Auftragsarbeiten zeigen oft technisch zukunftsweisende und neue Lebensstile. Aber ich gehe auch an Orte, wo Menschen gleichzeitig und manchmal unter sehr schwierigen Bedingungen Unglaubliches schaffen. Bei diesen Arbeiten geht es darum, verschiedene Lebensformen zu dokumentieren. Dabei spielen auch oft lokale Baustoffe und jahrhundertealte Bautechniken eine wichtige Rolle – wie man sie verwendet und abwandelt, um sich einen guten Ort zum Leben zu schaffen. Ich betrachte diese Orte mit derselben Intensität und Intention und versuche dabei einzufangen, wie die Menschen ihre Lebensumstände optimieren und mit sehr begrenzten Mitteln Unglaubliches schaffen. Das ist so hoffnungsvoll in vielen Momenten.
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«Iwan Baan: Momente der Architektur», zu sehen bis zum 3. März 2023 im Vitra Design Museum.

Veröffentlichungsdatum: 27.10.2023
Bilder: 1.-5., 8.-9. © Iwan Baan; 6.-7. Portrait Iwan Baan © Vitra Design Museum, Foto: Mark Niedermann; 10. Design von Rem Koolhaas und Ole Scheeren (bis 2010), David Gianotten, in Zusammenarbeit mit den PartnerInnen Shohei Shigematsu, Ellen van Loon and Victor van der Chijs © OMA © Iwan Baan; 11.-12. Installationsansichten «Iwan Baan. Momente der Architektur» © Vitra Design Museum, Foto: Mark Niedermann;

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