Viele Dinge haben sich einfach so ergeben

Ein Gespräch mit Rolf Fehlbaum

Am Ursprung des Vitra Campus stand eine Katastrophe. Inwiefern dies die Chance zu einem Neuanfang bot und weshalb dennoch vieles nicht so kam, wie man es geplant hatte, erzählt Rolf Fehlbaum in einem Gespräch über Zufälle, gescheiterte Projekte und die Frage, was den Reiz des Campus ausmacht.


Gut 40 Jahre ist es her, als die Produktionsanlagen von Vitra in Weil am Rhein durch einen Blitzschlag in Brand gerieten. Was ging Ihnen an diesem 18. Juli 1981 durch den Kopf?

Rolf Fehlbaum: Was den Brand anbelangt erst einmal gar nichts. Ich war damals in Afrika unterwegs und mein Bruder Raymond verschonte mich mit der schlechten Nachricht, da ich ohnehin ein paar Tage später nach Hause kommen sollte. Als er mir davon erzählte, war er ziemlich gefasst und hatte das Schlimmste für uns beide gewissermassen bereits verarbeitet.

Aber es muss dennoch ein ziemlicher Schock für Sie gewesen sein. Fürchteten Sie nicht um die Existenz Ihrer Firma?

Ich kann mich nicht mehr genau an meine Gefühlslage erinnern. Aber klar, wo man am Tag zuvor noch gearbeitet hatte, stand nun eine Ruine. Wir hatten damals eine sogenannte Betriebsunterbrechungsversicherung, die für sechs Monate alle Kosten, die entstanden, deckte. Eine lange Zeit war das nicht. Mein Bruder reagierte glücklicherweise extrem schnell und kontaktierte noch während meiner Abwesenheit den Architekten Nicholas Grimshaw.

Weshalb Nicholas Grimshaw?

Wir hatten bereits im Jahr zuvor die Idee, in Birsfelden ein Bürogebäude zu bauen. Als ich dann in London bei einem Event Grimshaw traf, kamen wir auf dieses Gebäude zu sprechen. Wir besichtigten im Anschluss seine neuesten Bauten und trafen uns im Dezember 1980 in Basel. Die Beziehung war also schon angewärmt, mein Bruder musste ihm nun einfach klarmachen, dass er etwas früher zum Zug kam.

Etwas sehr viel früher…

Genau. Wir mussten so schnell wie möglich wieder funktionieren und ein Dach über dem Kopf haben. Die Zeit gab den Rahmen für die Architektur vor. Dennoch wollten wir nicht einfach irgendetwas hinstellen, wir wollten Architektur. Grimshaw war der ideale Partner für diese Aufgabe. Seine Arbeitsweise erinnert stark ans Produktdesign, wie es beispielsweise Charles und Ray Eames verstanden. Er denkt sehr ökonomisch, verwendete bestehende Teile und schenkt Details wie den richtigen Verbindungen viel Beachtung. Nach sechs Monaten produzierten wir tatsächlich wieder und mit Grimshaws Gebäude hatten wir darüber hinaus eine Basis, um neu anzufangen.

Man könnte die Tragödie im Nachhinein also fast als einen Glücksfall bezeichnen?

Es war sicher eine grosse Chance, denn vermutlich hätten wir im Stil der bestehenden Bauten weitergemacht. Grimshaw war auf einem anderen Level. Als das Gebäude fertiggestellt war, baten wir ihn, einen Masterplan für das Gelände zu entwerfen. Allerdings haben wir davon dann nur noch zwei weitere Gebäude realisiert.

Aus welchem Grund?

Wie so oft spielte auch hier der Zufall hinein. Meine Brüder und ich wollten meinem Vater zum 70. Geburtstag 1984 etwas Spezielles schenken und gaben bei Claes Oldenburg jene Skulptur in Auftrag, die heute zwischen dem Vitra Design Museum und dem Ando Pavillon steht. Über Oldenburg lernte ich Frank Gehry kennen. Wir unterhielten uns in der Anfangszeit über Möbel und brachten den Kartonsessel «Little Beaver» in einer Edition heraus. Über Architektur sprachen wir erst, als ich ihn fragte, ob er für die Unterbringung unserer Möbelsammlung einen «Shed» (Schuppen) entwerfen könnte.

Und er stellte Ihnen daraufhin gleich ein ganzes Museum hin?

Nein. Er sagte, es sei viel zu teuer, für einen solch kleinen Auftrag einen Architekten aus Los Angeles zu engagieren. Als bald darauf ein Fabrikneubau anstand, schlug ich ihm vor, diese Fabrik zu entwerfen und den «Shed» davor zu stellen. Damit war er einverstanden und aus dem «Shed» wurde das Vitra Design Museum. Dies war das Ende des Vorgehens nach dem Masterplan von Grimshaw und der Anfang des Gedankens, anstelle einer einheitlichen Corporate-Identity eine Art Collage zu entwickeln, einen urbanen Ort, an dem ganz unterschiedliche Gebäude von verschiedenen Architekten zusammenkommen.

Heute stehen auf dem Campus Gebäude von mehreren Pritzker-Preisträgern. Zum Zeitpunkt, als sie ihre Entwürfe realisierten, waren viele von ihnen jedoch noch eher unbekannt. Wie haben Sie diese Leute aufgespürt und weshalb wollten Sie genau mit ihnen bauen?

Architektur beschäftigte mich schon lange. Bevor ich bei Vitra eintrat, war ich als Referent für Ausbildung und Fortbildung bei der Architektenkammer in München tätig und bekam mit, was die Architektinnen und Architekten jener Zeit bewegte. Es war die Zeit der Postmoderne. Mich interessierten vor allem jene Architekten, die nicht versuchten, die Moderne zu bekämpfen, sondern sie neu zu deuten. Grimshaw tat dies auf eine Weise, die sich an Eames und Prouvé orientierte. Frank Gehry stand Aalto näher. An seinen Arbeiten faszinierte mich neben den skulpturalen Qualitäten das scheinbar Improvisierte, die Verwendung von gewöhnlichen Materialien, die Unbekümmertheit in der Komposition – gewissermassen eine Gegenwelt zum schweizerisch-korrekten Perfektionismus-Ideal. Bei Jacques (Herzog) und Pierre (de Meuron) habe ich lange gebraucht, um zu merken, wie gut sie sind. Vielleicht, weil ich immer etwas suchte, das aus der Welt kam, während sie aus der Region stammen. Allerdings waren sie längst in die Welt hinausgegangen, und als wir uns dann irgendwann anfreundeten, erschien es mir fast absurd, dass wir noch nichts mit ihnen gemacht hatten.

Wie war es bei Zaha Hadid, sie hatte ja zuvor noch gar nie gebaut?

Als ich Zaha Hadid kennenlernte, war meine Absicht, mit ihr Möbel zu entwickeln. Wir kamen dabei nicht weit, verstanden uns aber gut, und ich war fasziniert von ihren nur als Zeichnung existierenden Projekten. Wir hatten unsere Feuerwehr in einem Provisorium untergebracht und es schien an der Zeit, ein Feuerwehrhaus zu bauen. Da kam die Idee auf, diesen Bau mit Zaha, deren Entwürfe passend zu meiner Vorstellung von Feuerwehr unerhört dynamisch wirkten, zu realisieren. So haben sich viele Dinge ergeben, mehr aus persönlichen Kontakten und Zufällen heraus als aus einem langfristig angelegten Plan.

Im Laufe der Jahre entstand so ein herausragendes Gebäude nach dem anderen. Haben Sie sich jemals gefragt, wie dies für die einzelnen Architektinnen und Architekten gewesen sein muss?

Die Idee war nie, ein Architektur-Museum zu erschaffen, bei dem man einfach Gebäude aneinanderreiht. Es ging immer darum, einen Ort zu bauen. Insofern bestand für jeden Architekten die Aufgabe darin, auf das zu reagieren, was schon da war. Respektvoll. Auch wenn die verschiedenen Gebäude sich formal stark unterscheiden, haben alle das Gesamtgeschehen einbezogen in ihre Entwürfe. Das VitraHaus hätte beispielsweise ursprünglich näher am Museum stehen sollen und wurde in weiss geplant. Aber es wäre zu überwältigend gewesen, ein so viel grösseres Gebäude in derselben Farbe direkt neben das Museum zu stellen. Deshalb haben Herzog & de Meuron die Lage verändert und eine dunkle Farbe gewählt.

Apropos Museum, während Grimshaws Bauten Produktionshallen waren, was zur Firma und dem eigentlichen Zweck des Geländes passte, stellte Gehry 1989 ein Stück «Kultur» mitten auf die grüne Wiese. Wie reagierte man in Ihrem Umfeld auf diese Idee?

Sicher gibt es Wechselwirkungen, Sie genau zu verfolgen, ist aber schwierig. Bei unserer Arbeit gehen wir von der Überzeugung aus, dass die Umgebung, in der wir leben und arbeiten, unser Wohlbefinden und Verhalten stark beeinflusst. Man kann also davon ausgehen, dass ein ausserordentlicher Ort wie der Vitra Campus die Bindung an das Unternehmen verstärkt. Dies äussert sich auch darin, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Freizeit mit Familie auf den Campus kommen. Und für die Designer sind die Sammlungen des Vitra Design Museums sehr anregend.

Das betrifft vor allem den Blick auf das Unternehmen und dessen Image. Doch wie stark hat der Campus die Kollektion von Vitra, ihre Designer oder gar die Firmenkultur in den letzten Jahren beeinflusst?

Ehrlich gesagt ist mir das dort gar nicht so wichtig. Gerade während des ersten Lockdowns, als ich alle meine Mitarbeiter nach Hause geschickt habe und sie während zweieinhalb Monaten nur anrufen konnte, um mich nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen, habe ich festgestellt, dass ich sie unheimlich vermisse. Ich brauche viel Interaktion und bin gerne von meinen Assistenten umgeben. Ich liebe dieses Chaos aus 3D-Modellen und Kartonresten, diesen Austausch von Ideen und die ständige Bewegung.

Was ist der Vitra Campus in Ihren Augen heute: ein Produktionsgelände, ein urbanes Biotop, ein Freiluft-Museum, eine Pilgerstätte, ein Begegnungsort…?

Der Reiz des Ortes liegt in der Mischung von Aktivitäten, die in der Regel nicht gemeinsam auftreten. Hier werden Möbel produziert und ausgestellt, hier wird Design gesammelt und in Ausstellungen präsentiert. Menschen, die hier arbeiten, treffen auf Menschen, die von aussen kommen, um die Architektur oder den Garten kennenzulernen oder Ausstellungen zu besuchen oder an einem Workshop teilnehmen oder Einrichtungsideen sammeln wollen … usw. Und das alles läuft ganz selbstverständlich ab, weil es nicht auf einer PR-Idee beruht, sondern sich über viele Jahre ergeben hat – als Ausdruck einer Haltung, die auf der Überzeugung beruht, dass Design einen Beitrag zur Verbesserung unseres Alltags leisten kann und soll.

Veröffentlichungsdatum: 16.12.2021
Autor: David Streiff Corti
Bilder: Olivo Barbieri; Gabriele Basilico; Wolfgang Beyer; Vitra; Rolf Frei;

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